07.07.2022
Der wahrscheinlich beste Fels(-Grat) im Wallis
Nach dem Arbengrat gestern legen wir mit dem Rothorngrat heute in Sachen Höhe und Gesamtanspruch nochmal eine kleine Schippe drauf. Der Pleitegeier kreiste über uns, als wir um 4:00 Uhr die Hütte verließen. Anfangs noch dem Normalweg folgend, über den Rothorngletscher gewinnt man rasch an Höhe. So sind die Finger schon warm wenn man den Gletscher im Stockfinstern an der felsigen Schwachstelle verlässt und zum ersten Mal etwas zupacken muss.
Hinter dem letzten großen Blockfeld wechseln wir auf Steigeisen und verlassen die ausgetrampelte Spur, die hoch auf den Firngrat unterhalb der Südwand des Zinalrothorns zieht, auf ca. 3700m. Wir bleiben auf der linken Flanke und orientieren uns am Übergang von Gletscher zu Felsabbruch, bis wir durch Abklettern in nicht immer ganz festem Fels, in den obersten Teil vom Triftgletscher-Kessel rüber wechseln.
Die Querspalten zwingen uns nun ans Seil, allerdings nur bis zur offensichtlichen Rampe, welche in leichter Kletterei diagonal hoch zum Joch zieht.
Um 6:30 Uhr erreichen wir den Grat, der uns heute exklusiv empfängt. Kein Gedränge, kaum Wind, die Sonne kratzt bald am Horizont, unter uns perfektes Urgestein, links und rechts von uns – ganz viel Tiefe, ringsum – alle Hörner vom Wallis.
Den Routenverlauf über den ausgesetzten Grat hatte ich aus einem Führer auf der Hütte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Bleibt man konsequent auf der Schneide und überklettert alle, sich entgegenstellenden Türme, sollen die Schwierigkeiten bis ca. VI reichen. Auf meinem Topo werden einige der Gendarme meist über die linke NW-Flanke umkurvt. Bei dieser klassischen Variante gibt es den Rothorngrat für nen IVer. Bei den Ausweichmanövern sucht man sich die schönste Linie je nach Gusto – viele Varianten sind möglich. Ab und an trifft man auf halb vergammelte Schlingenstände, ansonsten ist der Rothorngrat bis auf ganz wenige Ausnahmen frei von Metall.
Sehr einprägsam ist die vermeintliche Schlüsselstelle, bei der ein markanter Turm erst mittig, dann nach links zur Kante in verhältnismäßig steilem Gelände, mit einem kräftigen Zug erklommen wird. Alles in bestem Fels.
Solange es die Seilreibung zulässt cruisen wir am laufenden Seil die Himmelsleiter empor. Den letzten großen Gendarm umgehen wir, wie im Topo dargestellt, wieder auf der orografisch linken Seite. Erst dahinter sieht man den weiteren Verlauf und trifft kurz danach unvermittelt auf die Gabel des Normalwegs.
Nun weiß man die Ruhe des eigenen Rhythmus umso mehr zu schätzen. Das Bild ändert sich schlagartig. Viele Seilschaften sind unterwegs. Einige davon nahe ihres Limits, wie man meinen könnte. Geduld und Rücksicht sind gefragt. Viele IIIer-Stellen müssen bei nun guter Bohrhakenabsicherung überklettert werden. Im oberen Teil, bevor sich der Grat knapp unterhalb des Gipfels zurücklehnt, steigt man aus einer Felsspalte in der Südwand 3m leicht überhängend auf einen Sockel. Ohne das montierte Fixseil sicher ein gutes Stück schwerer als III, aber toll zu klettern.
Wenn man nach so einer außergewöhnlichen Tour in durchwegs anspruchsvollem, Konzentration erforderlichen Gelände nach insgesamt 6,5h von Jesus himself am Gipfel empfangen wird, kann einem schon fast eine Träne die Wange runter kullern. Überwältigend ists hier oben. Spätestens jetzt kann man nachvollziehen: das Zinalrothorn gilt als schönster und exponiertester Kletter-4000er des Wallis.
Als wir nach kurzer Gipfelrast Seilschaften einholen, die bereits auf unserem Weg nach oben im Abstieg waren, dämmert uns: das kann dauern. Zwei von hinten kommende Schweizer Führerseilschaften haben wie gewohnt kein Bock auf rücksichtsvolles Warten und steigen einfach über alles und jeden drüber. Chaotische Abseilmanöver inklusive. Hauptsache wieder 5min gespart. Zahlt sich aber letzten Endes aus für die Rüpel, denn wir hängen hinter einem skandinavischen Paar, das wie in Zeitlupe agiert und Abseilstand um Stand blockiert. Ca. eine Stunde später haben wir die Schnauze voll und setzen den Blinker nach Schweizer Manier links. Gefällt den Beiden zwar nicht („we are not slowly!!!“), ist uns aber wurscht, weil nicht lange später stehen wir auf dem Firnfeld am Ende des Felsteils und von den beleidigten Leberwürsten fehlt beim Blick zurück in die Wand jede Spur.
Man darf bei dieser Tour halt auch nicht vergessen, dass man vom Gipfel bis nach Zermatt beinezermatschende 2600 Höhenmeter abzuklettern / abzusteigen hat! Und weil man dabei so richtig Hunger bekommt, was die Schweizer natürlich wissen, zahlt man für ein „Überbackenes Käsebrot“ im Berggasthaus Trift unfuckingfassbare 23€. Wir entscheiden uns deshalb für die spritzige 7€-Bierdose und schließen eine intensive Dreitages-Doppel-Himmelsleiter-Tour mit einer wunderschönen Wanderung durch Blumenwiesen, Gebirgsbäche und Bergwälder runter ins Getümmel der Stadt ab und investieren die letzten Scheine in eine Pizza. Mahlzeit!
Steckbrief Zinalrothorn, Rothorngrat:
- Schwierigkeit: AD+ (klassischer Rothorngrat III bis max. V, Firn bis 45°. Am Normalweg III, eine Stelle weit oben ohne Fixseil ca. IV+)
- Absicherung: keine bzw. ganz wenige Haken / Standplätze sind eingerichtet bis zur Gabel. Ab dann gute Absicherung am Normalweg
- Hoch / runter: 1100hm bis Gipfel ab Hütte, 2600hm Abstieg
- Übernachtung: Rothornhütte (3200m)