Touren in Frankreich

Pointe des Cinéastes (3205m), Voie du vieux Piton & Traverse

24.06.2023

Aussichtsreiche Einstimmung auf die wilde Dauphiné und perfekte Kombination aus alpinem Sportklettern und klassischer Gratüberschreitung.

Das stabile Hochdruckwetter Ende Juni brachte Timo, Thomas und mich in eine Luxussituation: Wir konnten uns das Ziel unserer gemeinsamen Bergwoche fast schon aussuchen. Große Kaliber in Chamonix standen ursprünglich auf dem Programm. Die schwierigen Verhältnisse aufgrund der ergiebigen Schneefälle im Frühsommer und die Sehnsucht nach einer der ursprünglichsten Hochalpinlandschaften der Alpen führten uns schließlich nach ausgiebigen Planspielen ins weit entfernte Écrins-Massiv. Eine gute Entscheidung!

Ideal zum Ankommen, Eingewöhnen und Lage-Checken ist die von Ralf Gantzhorn zur „Himmelsleiter“ ernannte Cinéastes-Traverse, unweit des Refuge du Glacier Blanc. Der Zustieg zu diesem wäre ja so schon schön genug, aber nach der schier unendlich langen Autoanreise über alle Autobahnen, Pässe und Tunnel der Alpen ist es eine Wohltat, sich durch diese phantastische Gebirgskulisse zu bewegen.

Am urigen Refuge Pré de Madame Carle parken wir gegen 17 Uhr die Autos, spülen uns mit eiskaltem Bier aus der Kühlbox den Reisestress runter, werfen uns die Rücksäcke über und stapfen los. Beim Überqueren des Glacier-Noire-Gletscherflusses starren wir kurz ehrfürchtig rüber zum riesigen Südpfeiler des Barre, schrauben uns den Zick-Zack-Weg hinauf, die beeindruckende Bruchzone des Glacier Blanc vor Augen. Vorbei an Wasserfällen und Bergseen erreichen wir pünktlich zum Abendessen das ausgebuchte Refuge.

Ehrfürchtiges Hochglotzen zum….
…gigantischen Südpfeiler des Barre des Écrins.
Glacier Blanc

Futter gibt’s reichlich, das frisch gezapfte Bier kostet zwar geschlagene 10€, schmeckt aber dafür umso besser.

Ich versuche im Topo-Sammelsurium der Hütte Infos zu finden, zu unserer geplanten Tour. Im Internet bin ich nämlich auf die „Voie du vieux Piton“ gestoßen – eine Variante am ersten Turm, der normalerweise in einfachem Klettergelände bis in die Scharte zum 2. Turm klassisch umgangen wird. Es finden sich auf halbvergilbten Blättern bloß Infos über die Anzahl der Seillängen (7) und Schwierigkeit (VI+), nicht aber zu Absicherung und Felsqualität. Wir sind gespannt.

Thomas‘ Angst vor Riesenstaus in der vermeintlich beliebten Tour bewahrheitet sich bereits im Zustieg nicht. Kaum verlassen wir im ersten Licht die Hütte haben wir die gesamte Cinéastes an diesem Tag für uns.

Die Pelvoux-Gruppe im ersten Tageslicht
Der markante erste Cinéastes-Turm in Bildmitte. Die Route peilt erst die markante Verschneidung im rechten Wandteil an, zieht rechts raus zur luftigen Kante und von dieser in einem großen Bogen quer links durch den zentralen Wandteil bis in die Scharte zum 2. Turm.

Die nächste Überraschung wartet am Einstieg unserer Variante: die Route ist nicht nur angepinselt, sondern komplett eingebohrt. Auf sieben Seillängen lege ich vielleicht zwei Zusatzfriends.

1.SL (V): Start der rund-abschüssigen Art über Gletscherschliffplatten. Die Route folgt hier unten noch eher dem schönsten Fels, nicht dem leichtesten Weg.

2.SL (VI+): Nun wird es steil und logisch. Erst in die markante Verschneidung und nach ein paar Metern aus dieser wieder heraus über kleine Leisten nach rechts in Richtung Pfeilerkante.

3.SL (VI): Direkt an der Pfeilerkante bzw. links davon in bestem Granit und in ganz toller Genusskletterei weiter hinauf.

4.SL (VI-): Weiter an der Kante, die sich nun etwas zurücklehnt.

5.SL (VI): Aus einer Scharte heraus den nächsten Pfeiler auf seiner linken Seite erklettern und danach in einem großen Bogen nach links in die wunderbar strukturierten Platten rausqueren.

6.SL (VI-) & 7.SL (V-): Erst wird weiter gequert, dann aber in einem Rechts-/Links-Schlenker die Spitze des 1. Turms anvisiert, den man aber rechts liegen lässt und stattdessen in die Scharte zum 2. Turm klettert. Diese beiden Längen lassen sich gut kombinieren, wenn man die Exen entsprechend verlängert und die BH-Linie etwas begradigt.

Wir stehen nun am eigentlichen Startpunkt der klassischen Traverse.

Zwischenfazit: die „Voie du vieux Piton“ ist in jeder Hinsicht lohnenswert und eine super entspannte, bestens abgesicherte Einstimmung auf den örtlichen Fels. Ein absolutes Muss für jeden, der die Überschreitung noch verlängern und aufwerten will.

Ausblick vom letzten Standplatz der „Vieux Piton“
Blick vom Startpunkt der Traverse auf die nächsten Grattürme
Timo beim Abklettern in die Scharte

Timo übernimmt ab hier die scharfen Seilenden.

Turm #2

Die klassische Tour folgt ab hier dem Weg des geringsten Widerstandes bis zum insgesamt 6. Turm. Meist direkt auf dem Grat, oft und vor allem an der Schlüsselseillänge aber auch rechts oder mal links ausweichend in den Wänden. Passend dazu finden sich ab und zu ein paar Schlaghaken, ansonsten muss improvisiert werden. An den steilen Aufschwüngen, da wo man umgeht, sieht man immer wieder auch direkte, BH-versicherte, schwerere Varianten über die Türme. Wir aber bleiben auf der klassischen Route. Von der Scharte nach dem 2. Turm wird in die Ostflanke gequert. Nun wartet die Crux der Traverse.

Turm #3 voraus. Unmittelbar darunter sieht man bereits von hier aus in der Ostwand den kubikmetergroßen Quader mit dem Minidach.

In einem großen Bogen peilt man auf ein kleines, markantes Dach unterhalb des 3. Turms, welches erstaunlich einfach an guten Griffen an seiner linken Begrenzung umgangen werden kann, indem man in eine Verschneidung klettert.  

Die Exponiertheit ringsum und vor allem der Ausblick rüber zum gegenüberstehenden Pelvoux-Massiv sind einfach nur großartig!

Rückblick vom sechsten Turm über den gesamten Gratverlauf

Das einzige Manko dieser Himmelsleiter: sie ist auch trotz Verlängerung zu kurz! Aber man muss sich ja nicht gleich am ersten Tag schon verheizen.

Beim Abseilen vom 6. Turm runter in den Schuttkessel ist noch einmal Vorsicht in Sachen Steinschlag und Achtsamkeit bzgl. Seilhänger geboten.

Und wenn man wie in unserem Fall noch reichlich Altschnee hat zum Runtersurfen, ist man in Nullkommanix zurück am Tresen, legt 30€ auf den Tisch und feiert das Leben!

Handzahme Murmeltiere
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