29.07.2016 – 30.07.2016
Nur der Auftakt für’s Finale
Höchster, vollumfänglich auf italienischem Staatsgebiet befindlicher Berg, Einstiegs-4000er, Massenveranstaltung, Gletscherhatsch, anstrengendes Aufwärmprogramm für höhere Ziele – so könnte die Beschreibung des Gran Paradiso aussehen.
Wetterbedingt aus den Alpen nach Kroatien geflüchtet vermissen wir im Sommer 2016 nach ein paar Tagen Meer + Plitvicer Seen wieder die Berge. Nach Triglav, Großer Zinne und Großglockner nimmt Antjes Größenwahn langsam Formen an: sie will auf den Mont Blanc! Blöderweise sind wir hier in Kroatien maximal weit entfernt von den Westalpen. Glücklicherweise liegt auf dem Weg dorthin mit dem Gran Paradiso ein weiteres Ziel aus der Reihe „Seven Summits Alpen“ – quasi zum Einsammeln.
Also noch schnell ne Cevapcici reingepfiffen, stundenlang hupend durch die italienische Verkehrshölle der Po-Ebene getuckert, rein ins Aostatal und ab nach Pont im Parco Nazionale Gran Paradiso.
Dort sammelten wir Philipp ein, der sich dem Projekt Mont Blanc anschloss.
Von hier bis zum Gipfel ist man an diesem Berg nie allein. Im Gegenteil. Die Menschenkette reicht beinahe von der Spitze bis ins Tal. Eine große Seilschaft. Ein Gipfel für jedermann. Aber das Wetter ist grandios und wir haben sogar einen reservierten Platz auf dem Refugio Vittorio Emanuele.
Wegfindung und Gelände sind auf dem Normalweg ungefähr so anspruchsvoll wie der morgendliche Gang zum Briefkasten. Einfach in den Menschenstrom stellen und treiben lassen. Anstrengend ist der Gipfeltag mit 1300hm Aufstieg und 2100hm Abstieg aber dennoch. Wer die Einsamkeit sucht ist hier jedenfalls sowas von falsch – dafür ist die Landschaft des unbebauten Nationalparks umso wilder.
Wir gehen unser Tempo, passen uns langsam an die Höhe an. Der obere Teil des Gletschers ist an diesem Tag stark dem Wind ausgesetzt. Affenkalt wird’s – vor allem wenn man wie Philipp bei der Ausrüstung spart und auf Handschuhe + Softshellhose pfeift. Antje hat dafür umso mehr warmes Zeugs mit und rettet Philipps Eisgriffel mit ihrer Fließjacke. Die Ausblicke vom oberen Bergschrund an den Felstürmen der Vorgipfel vorbei ins Turiner Flachland sind für mich das Highlight der Tour.
Fürs Staunen hat man auch genügend Zeit, weil man an einem schönen Tag wie diesem nämlich teilweise lächerlich lange darauf warten muss bis der Madonnengipfel endlich frei wird. Bei uns blockieren 3 polnische Mädels den ausgesetzten Turm, der mit der einzigen Kletterstelle der Tour nicht wenige überfordert. Feinsten Alpin-Slapstick gibt es zu beobachten. Leute, die mit den Steigeisen an den Füßen beim Felsklettern plötzlich umherstolpern, Seile die sich ineinander verwurschteln, Seilschaftszüge die sich beim Übergang Gletscher zu Fels verheddern, usw.
Könnte man sich stundenlang mit einer Tüte Popcorn in der Hand anschauen – wäre es nicht so erbarmungslos kalt auf nun mehr als 4000 Metern.
Irgendwann kurz vorm Erfrierungstod haben es die 3 Polinnen geschafft und den Kampf mit der Ausgesetztheit fürs Gipfelfoto überlebt. Wir machen’s kurz – denn zusätzlich zum kalten Wind hab ich blöderweise meine Kamera beim Pinkeln unten am Gletscheranfang liegen lassen – und die soll den Besitzer möglichst nicht wechseln.
Aber alles geht gut aus. Niemand erfriert, die Kamera winkt mir schon von weitem zu und der hohe, weiße Chef im weiten Ring lacht uns mit einem schiefen Grinsen an – als wolle er sagen: „Okay ihr Weicheier. Dann kommt doch rüber – aber mich gibt’s nicht geschenkt!“.
Das wollen wir mal sehen!
Top akklimatisiert fahren wir noch am gleichen Tag durch den Mont-Blanc-Tunnel nach Chamonix und begeben uns auf Lauerstellung.