Touren in Deutschland

Großes Mühlsturzhorn (2234m), direkte Südkante

Veröffentlicht

27.05.2023

Von Einsamkeit, nassen Arschritzen und ganz vielen Freunden

Ganz hinten drin im autofreien, wilden Klausbachtal brechen die Südostwände der Reiteralm auf spektakulärste Art ab. Drei frei- und nebeneinanderstehende Brocken stechen dabei besonders ins Auge: Das Große und Kleine Mühlsturzhorn und das Große Grundübelhorn (von li nach re).

Endlich hatte sich das Wetter in diesem zähen Bergsportjahr 2023 mal stabilisiert und so fuhren Simon und ich zusammen mit allen anderen Autobesitzern Deutschlands am Pfingstwochenende im gefühlt zweiten Gang und Schritttempo Freitagnachmittags runter zum Hintersee.

Es blieb also genug Zeit, um das Topo unseres Pause-Auftaktes genau zu studieren:

Harte Cruxlänge, konstante Schwierigkeiten im VI-ten Grad und ein Erstbegehungsdatum (1936), bei dem eben dieser Grad das Ende der Skala bedeutete. Zusätzliche Würze bringt die Ernsthaftigkeitsbewertung: Immerhin je ein Bohrhaken am Stand – dazwischen allerdings nix, bis auf einige Schlaghaken unterschiedlichster Qualität. Alpinkletterabenteuer pur!

Per (Mamas Damen-) Bike, radeln wir am nächsten Morgen die 5km vom Hintersee hoch zum Schaflsteig auf perfekt asphaltierter Straße.

Der steile, enge Bergpfad schlängelt sich wunderbar durch den idyllischen Wald und man gewinnt rasch an Höhe und Puls. Bald wird der Blick frei auf unsere Linie: tropfnass bis mindestens inklusive der Schlüsselseillänge – yeah!

Imposanter Felsklotz
Sturz links, Dübel rechts
Der dunkel-sabschige Fleck unten – da müssen wir durch
Gesichtsausdruck beim Sichten der Tropfsteinhöhle

Am oberen Ende des Latschenkieferdschungels legen wir Gurt und reichlich Metall an und queren zum Einstieg rüber. Aus allen Löchern tropfts und der Berg drückt schmierigen Schleim aus seinen Poren – aber hilft ja nix.

1.SL: Ich mache den Anfang. Glibberverschneidung hoch und nach ca. 30m scharf nach links in den dolomitischen 10m-Quergang (1 lausiger NH) an tropfenden Untergriffen. Die letzten Meter um die kompakte, ausgesetzte Kante herum in die Verschneidung sind am anspruchsvollsten.

Jetzt links ums Eck wartet der schwerste Move. Im Riss über mir gibt’s ein perfektes Placement.

2.SL: Über uns wird es steil – die Verschneidung geht in Risse über, welche in ein überdimensionales, überhängendes Hinterteil aus dunkelnassem Fels münden – die Crux. Zwei Optionen: Entweder frei durch die feuchte Arschritze oder links davon die Hakenleiter hochnullen. Simon hat keine Wahl bei den Verhältnissen und zieht auch gleich mal ungewollt einen der Haken als Souvenir raus.

Nasse Ritze voraus

3.&4.SL: Aus der kleinen Höhle abdrängend rechts hinaus dem Risssystem folgend geradeaus hinauf. Stellenweise stört der Grasbewuchs oder nasse Rissgrund, aber der Fels ist rau und kompakt. Die Kletterei löst sich immer wieder mit Faust- und Handklemmern in der ansonsten ziemlich strukturlosen Wand genial auf.

Am tollen Faustriss

5.SL: Es folgt die 60m-Idealverschneidung. Auch hier wieder feuchte Stellen, aber ein Fels, wie aus Beton in eine 90°winklige Form gegossen. Unglaubliche und aufgrund der dünnen Schlaghakendichte (4NH auf 40m) mental durchaus herausfordernde Kraxelei, die ordentlich auf die Waden geht. Zwar konnte ich die Seillänge gut mit Friends absichern, hatte aber großen Respekt, wohl auch aufgrund der diesjährig fehlenden Praxiserfahrung am Fels 😉 Das entspannte Genießen kam daher vielleicht etwas zu kurz.

6.SL: Wie steil ein 5er sein kann, bekommt man hier serviert. Der Fels zeigt sich nun dafür strukturierter. Die diagonale Hangelrissspur oben raus ist der Knaller.

7.SL: Man hat sich nun langsam um die Kante herumbewegt. Entsprechend werden Tief- und Weitblick umso atemberaubender. Es geht luftig nach rechts raus in eine etwas abdrängende, kurze Verschneidung hoch in einfacheres Gelände. Auch hier wieder Kalk, der in Sachen Rauigkeit und Kompaktheit besser nicht sein könnte. Purer Genuss!

Simon hat ganz viel Luft und das Klausbachtal unter den Füßen
Die Kulisse des Hochkalters im Hintergrund. Schaut bissle aus wie der Piz Palü von Norden 😉

8.SL: Eine diagonale, überdachte, plattige Rampe nach links weg. Selbst eine 4+ kann anspruchsvoll sein.

9.+10.SL: Lässt sich gut kombinieren in leichtem Gelände, in dem man es sich auch beliebig schwer machen kann.

Zehn Seillängen voller Abwechslung enden leider nicht auf dem Gipfel, sondern ein gutes Stück unterhalb, wo auch die Abseilpiste ihren Anfang nimmt.

Entweder lag es an unserem Saison-Opening, den Verhältnissen im unteren Teil oder an dem hohen Sicherungsaufwand in dieser Tour, was den Kletterfluss verlangsamt und Seillänge für Seillänge Minuten frisst. Jedenfalls kamen wir nie so richtig in den oft erlebten Flow-Zustand, bei dem die Meter nur so unter einem dahinfliegen. Daher haben wir überraschende 6,5h gebraucht. Der Gipfel fällt mangels Abseilpiste und vor allem aufgrund des unmenschlichen Bierdurschtes heute flach.

Doch auch so ist das Ambiente an diesem freistehenden Riesenklotz mit dem verschneiten Hochkalter gegenüber, den Loferer Steinbergen im Wintermantel, den zerklüfteten Steinschlagrinnen unterhalb der Wände und dem ganz tief unter den Füßen liegenden Tal, in wilder Einsamkeit, einfach nur traumhaft.

Auf dem Weg zum ersten Abseiler.

Beim Abseilen macht sich in der Mitte der Wand kurzzeitig unser Informationsdefizit bemerkbar, welches wir gekonnt mit Intuition und Erfahrung (& etwas Glück) kompensieren. Zwei Seilhänger sorgen noch für Zusatzspannung.

Ciao hübscher Klapfen!

Schnell wechseln wir am Rucksackdepot auf kurze Klamotten, nehmen Stöcke und Beine in die Hand und rennen den Wald runter zu den Rädern. Zurückrollen auf Start – unbezahlbar!

Nach der Tour ist vor der Tour. Am nächsten Morgen sollte der Bogen noch etwas weiter gespannt werden – mit der Südverschneidung am Großen Grundübelhorn.

Blick beim Abstieg rüber zu unserer morgigen Tour.

Steckbrief Großes Mühlsturzhorn, direkte Südkante:

  • Schwierigkeit: VIII-, VI A1 (VI obligat.), E3+
  • Absicherung: An den Ständen je 1BH, dazwischen einige NH
  • Schlosserei: Gute Absicherungsmöglichkeiten mit Friends #0.3 bis #4 (mittlere doppelt), 12 Exen ratsam. Wir hatten 60m Doppelseil – 50m hätten‘s auch getan
  • Hoch / runter: Zustieg Hintersee – Einstieg ca. 1000hm. 10SL Kletterei auf ca. 330m

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