Touren in Österreich

Ellmauer Halt (2344m), Kopftörlgrat

23.07.2020

Wilder Paradegrat auf des Kaisers Haupt

Egal, ob man sich von Nord oder Süd annähert – dieser langgestreckte, luftige Grat inmitten des Wilden Kaisers fällt direkt ins Auge. Schon während meiner ersten Klettertour in diesem phantastischen Gebirge – am Totenkirchl – schielte ich immer wieder hinüber zur Riesentreppe, die in ca. 1400 Metern Kletterstrecke, über sechs zackige Türme hinweg, zum höchsten Gipfel, den Ellmauer Halt, zieht.

Kopftörlgrat: von Scharte Bildmitte nach links zum höchsten Gipfel. Ganz rechts – das Ellmauer Tor
Kopftörlgrat im Zoom

Appetitanreger auf Bergsteigen.com: „Gesamt gesehen ist der Kopftörlgrat sicher eine der besten Routen in dieser Schwierigkeit und durch die einmalige Gratlandschaft ein tolles Erlebnis, der Abstieg über den Gamsängersteig macht die ganze Unternehmung zur Traumtour.

Antje musste ich die Tour also nicht mehr groß schmackhaft machen. Und weil wir nach der Gewalttour am Großvenediger (direkt nach Abbruch am verschneiten Nordgrat via Normalweg zum Gipfel) eh in der Nähe waren, konnte uns nun bloß noch das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen. Im Sommer 2020 war das so eine Sache mit dem Wetter. Wintereinbruch hier, sintflutartige Regenfälle da, instabile Großwetterlage und daher permanente Gewittergefahr einfach überall.

Glücklicherweise winkte der Wettergott nun aber mit einem 1,5-tägigen Zeitslot. Als wir dann auch noch kurzfristig auf der gut besuchten Gruttenhütte zwei Schlafplätze ergattern konnten, stand dem Kopftörlgrat eigentlich nix mehr im Wege.

Parkplatz Wochenbrunneralm. Oben links sieht man schon den oberen Teil des Kopftörlgrates
Die letzten Meter zur Gruttenhütte

Die Ausläufer des obligatorischen Nachmittagsgewitters hingen noch in den Gipfeln, als wir zu späterer Stunde nach einem gemütlichen Marsch ab der Wochenbrunneralm die Hütte erreichten. Dort wurden wir gleich zu Beginn erst einmal über die aktuellen Restriktionen aufgeklärt: Neben omnipräsentem Störenfried Corona hatte man hier oben nämlich gerade erst einen Bettwanzenbefall in den Griff bekommen – dementsprechend viele Regeln gab es zu befolgen. Rucksäcke mussten in die Sauna, Bettwäsche in die Mikrowelle…etc…und natürlich immer brav Abstand halten. Social distancing sei Dank bekamen wir dafür zu zweit gleich ein ganzes Viererzimmer.

Der Wecker stand auf 5:30 Uhr. Vor dem Einschlafen nochmal kurz den Wetterbericht gecheckt: Grünes Licht!

Um 5:00 Uhr werd ich wach. Duscht da einer neben mir? Die Duschen sind doch covidbedingt außer Betrieb?! Klingt eher nach Wasserfall. Ich schau aus dem Fenster: Weltuntergang. Es schüttet aus Eimern. Wetterprognose Sommer 2020: Mal wieder für die Tonne!

Nach wetterbedingter Absage der Gemeinschaftstour mit Freunden am Traunstein, drei Tagen Regen in Flachau, dem Neuschneegewühle am Venediger und der permanenten Flucht vorm Dreckswetter nun das. Schon bissl ätzend! Aber was willst machen? Weiterpennen und gemütlich Frühstücken! Das heftige Unwetter war zwischenzeitlich durchgezogen. Auf dem Regenradar war dies tatsächlich im gesamten Alpenraum die einzige Gewitterzelle. Jackpot!

Beim Frühstücksbuffet schauten wir in enttäuschte Gesichter. Ein älteres Ehepaar hatte auch vor, den Grat zu gehen, war sich aber schon vor dem Gewitter nicht ganz sicher und plante daher um. Ich gab die Hoffnung noch nicht auf, befragte noch einmal das Regenradar-Orakel. Die Lage: Es sollte nun nichts mehr nachkommen. Der Grat trocknet rasch ab, das wusste ich und Internet zum Vergewissern gab es hier oben auch überall. Notfalls bietet die Tour auf halber Strecke auch einen, wenn auch unangenehmen, Ausstieg. Wir entschieden uns für einen verspäteten Versuch. Es sollte sich voll auszahlen!

Hier bereits im steilen Schutt der Hundsgrube, unterhalb des Kopftörls
Gämsen unten, Kopftörlgrat oben
Das Wetter zeigt sich nun von seiner besten Seite
Alpensalamander
Der zackige Grat links der Bildmitte: die Hinterseite der vorderen Karlspitze. Rechts der Bildmitte, hinten: der Bauernpredigtstuhl – fehlt mir noch in der Pause-Sammlung 🙂
Der Aufstieg zum Kopftörl ist teilweise sogar drahtseilversichert
Highlight des Zustiegs: der Durchschlupf am Kaindl-Stewart-Turm
Rückblick zum Kaindl-Stewart-Turm
Wie aus dem Bilderbuch 🙂 Unten rechts: die Gruttenhütte. Links der Nadel folgt uns ein Bergführer (rot) mit Kunde
Am Kopftörl angekommen, freut sich Antje, dass Batman auch da ist

Die Klettertour startet hier – im Bild oben sieht man am linken Rand den Einstiegskamin, welcher auf die linke Seite des Grates zur langen Querung im I-IIer-Gelände führt. Dieses „Gehgelände“ ist seltsamerweise Antjes Horror. Scheinbar zu viele Optionen für Hände & Füße machen sie da dermaßen wuschelig, dass wir die Bergführer-Seilschaft erst einmal vorbei ziehen lassen und tief durchatmen. Kurz vorm frühzeitigen Abbruch der Tour, sammelt sich Antje aber noch und zieht durch. Je schwieriger das Gelände, desto flüssiger die Kletterei – ein Paradoxon, an dem noch gearbeitet wird. 😀

Blick vom 2. auf den 3. Turm. Bei ganz genauem Hinschauen findet man im markanten, mittigen Riss des Turmes (oberer Teil) den roten Bergführer (Bildmitte)

Zum Thema Wegfindung: Hier und da gibt es sicher mehrere Optionen, aber in Summe fand ich die Linie weitestgehend logisch. Neben den Abnutzungsspuren helfen bei der Orientierung witzigerweise auch Waxspuren! Diese stammen vermutlich von großen Kerzen, die hier oben in einer Art Lichterkette zu einem besonderen Event den ganzen Grat illuminiert haben. Ich passe die Seillänge oft an und wir klettern die steileren Längen nicht selten simultan, mit T-Bloc-Seilklemme. So kommen wir nach zögerlichem Start doch sehr gut voran.

Abkletterpassage am 2. Turm. Sieht hier auf dem Bild viel steiler aus als in der Realität
3. Turm, unterer Teil. Hinter Antje, unten sieht man noch die Rinne, welche wir abgeklettert sind
Antje unterm Klemmblock am Ausstieg des 3. Turms
3. Turm: Querung links des Grates
Luftig geht’s zu am 4. Turm
Links und rechts gähnt die Tiefe
Antje hat Spaß. Der Koloss links: Die Westwand des Totenkirchls
Auf dem 4. Turm

Der 4. Turm (Leuchsturm), der hier eher ein Gratkamm ist, wird bald linksseitig verlassen und abgeklettert. Der Notausstieg ist hier recht gut markiert und führt durch steiles Gelände links die Schwachstellen der Wand hinunter. Das Regenradar verspricht keine Gefahr – wir klettern weiter. Es folgt eine weitere interessante Passage: Der Durchschlupf zur Scharte zischen 4. & 5. Turm mit der direkt darauf folgenden, ausgesetzten Abkletterstelle über eine Platte:

Hier gibt es ein paar Normalhaken. Zusätzlich entschärfe ich mit Schlingen.
Auf den letzten Metern dieses beeindruckenden Abschnitts zur Scharte

Der vom Tal aus schon sehr markante 5. Turm, wegen seiner Form auch Kapuzenturm genannt, wird rechts umgangen:

Am Kapuzenturm, der so hoch ist, dass er nicht aufs Bild passt. Rechts unten sieht man die Gruttenhütte und die Wochenbrunneralm
Purer Genuss am 6. Turm
Die 600m Totenkirchl-Weswand in ihrer vollen Pracht. Von unserer Position aus hat der Bergkamerad damals das Bild von Simon und mir gemacht, als wir mittendrin hingen

Krönender Abschluss der Tour ist der fotogene Ausstieg am 6. Turm:

An Ausgesetztheit kaum zu überbieten!

Die Schlüsselstelle kommt ganz am Ende, auf den letzten Metern zum Gipfel. Selbst hier war der Fels wunderbar griffig und bereits wieder trocken. Klettertechnisch sicher die „schwierigste“ Einzelstelle im unteren 4. Grad – eine steile Rissverschneidung hoch. Und dann ist es geschafft! Der Weltuntergangsstimmung zum Trotz stehen wir um 14 Uhr an diesem versöhnlichen Tag auf dem Gipfel der Ellmauer Halt 🙂

Gipfelschnäpschen (beste Zirbe) darf natürlich nie fehlen!

Nach ausgiebiger Rast, die nach der langen Klettertour auch nötig war, starten wir den gefühlt noch längeren Abstieg über den Gamsängersteig (B/C).

Uriges Notbiwakhüttchen unterhalb des Gipfels
Viel Metall im Abstieg. Die Gruttenhütte scheint zum Greifen nahe. Das täuscht!

Antje zapft ihre letzten Kraftreserven in diesem anstrengenden und nach wie vor volle Konzentration erforderlichen Gelände an. Und ich zapfe in Gedanken schon das siebte Bier. Wie weichgekauter Kaugummi zieht sich der Abstieg…aber irgendwann, kurz bevor das Wetter dann selbstverständlich doch noch einmal umschlägt und die Schleusen öffnet, kommen wir in der Gruttenhütte an. Leider ist diese voll belegt, weshalb wir uns bloß die Bäuche vollhauen und im Anschluss sogar noch bis zum Auto absteigen.

Dem Wetter ein Schnippchen geschlagen. Der Kopftörlgrat hüllt sich zum Abschied wieder in dicke Regenwolken.

Ziemlich platt von der Anstrengung und den tollen Eindrücken, aber auch glücklich, die Chance perfekt genutzt zu haben, schlürfen wir in 45 Minuten zum Caddy. Die Vorfreude auf eine Dusche und ein solides Bett steigt exponentiell. Am gleichen Abend sitzen wir im Hotel-Restaurant im nahe gelegenen Söll, haun uns schon wieder die Bäuche voll (lecker Tom Kha Gai Suppe) und lassen eine sehr empfehlenswerte, lange Traumtour Revue passieren 🙂 .

Steckbrief Ellmauer Halt, Kopftörlgrat

  • Schwierigkeit: IV- (eine Stelle) , ansonsten oftmals III oder leichter
  • Absicherung: Vereinzelt Bohrhaken an den steilen Passagen + Ständen. Dazwischen einige NH und Eigeninitiative gefragt
  • Hoch / runter: 400hm Zustieg (Gruttenhütte bis Kopftörl), 400hm Differenz bis Gipfel, auf 1400m Kletterei verteilt. 1250hm Abstieg bis Wochenbrunneralm
  • Übernachtungsmöglichkeit: Gruttenhütte auf 1619m

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