08.12.2019
Die Winterspiele 19/20 sind eröffnet
Abends in Reutte noch schön die Wampe bis Oberkante Unterlippe angefüllt, parken wir den Caddy im Ammergauer Kühlschrank direkt vor der dunklen, weil geschlossenen Ammerwaldalm-Hütte.
Wir hatten im Vorfeld versucht, im www aktuelle Infos zu den Verhältnissen in der Nordwand aufzustöbern, aber ohne Erfolg. Wird Zeit für eine Webcam an der Alm. So richtig angefangen hat die Zeit des Pickelschwingens offenbar noch nicht. Lediglich vom Nordwandklassiker am Rubihorn gab es im Eiskletterstammtisch auf Facebook den Hinweis, man solle besser den Handfeger mitnehmen. Tolle Aussichten. Immerhin war es seit Tagen affenkalt und dank unserer Motivation, endlich die Wintersaison eröffnen zu können, waren wir glücklicherweise in der Lage, uns einzubilden, dass uns a Moardsgaudi erwartet.
Es war hart – aber wir wurden nicht enttäuscht!
6 Uhr – der Wecker klingelt. Im Caddy sind die Scheiben von innen zugefroren. Wintercamping is echt nix für Warmduscher. Raus aus dem Daunensack und schnell wieder rein in die Daunenklamotten. Am kleinen Stromhäuschen vorbei, verschwinden wir im Schein der Stirnlampen im stockdunklen Wald und wurschteln uns mühsam das schottrige Geierkar hinauf. Schnee suchst du da unten mit der Lupe. Aber im Schein des Mondes können wir bereits erkennen, dass es weiter oben winterlicher zugeht.
Den einfachsten Zugang zum oberen Kar verpassen wir erfolgreich, so wie gefühlt jeder Aspirant, wie man in den Foren liest. Fluchend haun wir uns gegenseitig das Nadelbaumgewächs um die Ohren, bis wir endlich wieder in der Spur sind und tatsächlich mittlerweile Schnee unter den Füßen haben.
Lockerer Triebschnee, der ursprünglich mal in der flachen Südwand lag und nun die Klippen und Hänge der Nordwand in ein weißes, pulvriges Kleid hüllt. Ein arg luftiges Kleid, wie uns beim Blick ins Topo auffällt. Von zugeschneiten Rampen und nur vereinzelten Steilstufen ist nix zu sehen. Wenigstens lacht uns zwischen den angezuckerten Felsplatten hier und da ein dünner Eisfall an. Schaute auf jeden Fall diffiziler aus, als im Topo (max. M3) und das war es auch.
Aber genug gekleckert – jetzt wird geklotzt. Die Seile lassen wir noch im Rucksack. Ein hübscher ca. 15m hoher WI3 – Eisfall lädt uns gleich zu Beginn zu einem Kaltstart ein. Kurzer Check: Teilweise dünnes, aber solides Eis, nicht absicherbar. Hilft ja nix. Ich hab trotzdem Bock und will endlich meine neuen Petzl Lynx ausprobieren. Bereits auf halber Höhe hau ich den Pickel beherzt ins Eis. Beim Rausziehen kommt mir das Eiswasser wie aus einem Gartenschlauch entgegengespritzt.
Schnell stopf ich die Haue wieder rein und schau, dass ich wegkomme, damit Simon nachkommen kann.
Nach diesem Wachmacher suchen wir uns den leichtesten Weg hinauf und legen das Seil an. Vor dem nächsten Eisfall in einer steilen Rampe, die vermutlich normalerweise zugeschneit sein sollte, finden wir immerhin einen rostigen, halb umgebogenen Schlaghaken.
Mit einem soliden Friend, einer abgebundenen Eisschraube und zwei Bohrhaken BH gesichert, gelangen wir durch M3+ – Gelände zur Schlüsselrampe.
Der Standplatz oberhalb der Nische, am Beginn der glatten Steilrampe, liegt mangels Schneeauflage so hoch, dass ich ihn kompliziert anklettern muss, um dann schließlich extrem unbequem für’s Gemächt Hängestand zu beziehen.
Auf Simon wartet nun die M5 – Schlüsselseillänge im Vorstieg. Heute ohne jegliche Eis- oder Trittfirnauflage. Reines Drytooling. Im größtenteils abwärtsgeschichteten und nicht immer festen Kalk muss hier schon ganz genau nach brauchbaren Placements geschaut und präzise angetreten werden.
Drei BH auf die ersten 12m geben zumindest Sicherheit. Mir fehlen in diesem Gelände die Vergleiche, aber M5 stellt man sich leichter vor. Diese Meinung haben wir auch tatsächlich nicht exklusiv – siehe Forum rocksports.
Fluchend kämpft sich Simon solide entlang der BH hoch zum Stand. Ich steige am aperen Fels, mehr die Hände an den Leisten benutzend, anstatt zu drytoolen, nach und übernehme die folgende M4- Seillänge.
Komplett freigeblasene Plattenkletterei an kompaktem Fels mit abschließendem Stand neben einer kleinen Eisgrotte.
Wenn man sich erstmal an die Monozacken und die teilweise mikroskopisch kleinen Tritte gewöhnt hat, macht’s echt richtig Laune. Über einen kleinen, mit 2 BH überraschend gut gesicherten Eisfall kraxelt Simon die nächste Seillänge ins einfachere Gelände.
Vom typisch schottischen frozen-turf bis hierhin keine Spur. Insgesamt sauste die Pickelspitze vielleicht bloß dreimal in die eisigen Grasbüschel.
Der Charakter der Tour ändert sich nun. Wir verwandeln uns in Wühlmäuse. Mehr schwimmend als kletternd vergewaltigen wir uns durch den hüfthohen Pulverschnee zur M4-Stelle der vorletzten Seillänge.
Ein letztes Mal muss man an einem kleinen Überhang in die Hände spucken, um in die abschließende Rinne reinzukommen. Noch einmal schalte ich in den Maulwurfmodus, hacke die Gipfelwechte klein und wuchte mich aus der Wand.
Es drängt sich bei den arschkalten, düsteren und abweisenden Nordwänden immer die Frage des „Warums“ auf. Aber wenn man ganz oben zum letzten Zug ansetzt und erst der Kopf und kurz darauf der Rest vom gleißenden Licht der Sonne illuminiert wird – dann ist alle Schinderei auf einen Schlag vergessen!
Und wenn wir ehrlich sind, macht man das alles ja eh nur wegen der Aussicht (auf den Gipfelschnaps):
Ein letztes kleines Natur-Highlight wartet nun noch im Abstieg. Ein Felsentor, wie von einem Bildhauer geschaffen, zeigt den Weg in das nördliche Abstiegscouloir.
„Aller guten Dinge sind drei“ – hieß es für Simon, der in dieser Route bereits zweimal wegen schlechter Verhältnisse den Rückzug antreten musste.
Großen Respekt an die Erstbegeher Ralf Sussmann, Michael Warscher & Andreas Wunsch. Vor allem für ihren Begehungsstil – „durchgehend im Vorstieg von unten, ohne vorheriges Erkunden von oben und ohne Verwendung von Fixseilen“. Dankeschön für diese eindrückliche und meist einsame Fahrt durch Fels, Eis und Schnee.
Steckbrief Westlicher Geierkopf, Bayerisch-schottische Wintergames:
- Schwierigkeit: WI3, M5
- Absicherung: Stände gebohrt, BH an den neuralgischen Stellen, dazwischen für’s Wohlbefinden auch Eigeninitiative (Friends) gefragt
- Hoch/runter: 600hm Zustieg, 400hm Wandhöhe, insgesamt 1150hm
- Übernachtungsmöglichkeiten: Ammerwaldalm (Winteröffnungszeiten beachten!). Alternativ gibt’s reichlich Stellplätze für’s Hotel „Blech“
Hinweis zur Bewertung der Schwierigkeiten:
Sehr interessant fanden wir die Einschätzung im Rocksports-Forum (s. Link oben im Beitrag). Es gibt ja genügend Einträge im Netz zu dieser zu recht beliebten Route. Beinahe alle Berichte scheinen eines gemeinsam zu haben: Die Tour wird unterschätzt. Oft liest man von eher schlechten Verhältnissen in der Wand. Dadurch kommt den Wiederholern, zu welchen wir nun auch gehören, der Gesamtanspruch höher vor, als das Topo glauben lässt. Auch wir teilen diese Meinung.
Ein Gedanke zu „Westlicher Geierkopf (2143m), Bayerisch-schottische Wintergames“
Glückwunsch ihr verrückten! Beim betrachten der Bilder stellen sich automatisch die Nackenhaare!