17.07.2016
Legendäre Führe auf das Naturdenkmal
Spontan zu den Drei Zinnen zur Hauptsaison ohne Hüttenreservierung? Geht eigentlich nur mit richtig viel Schwein oder einer illegalen Nacht im Zelt. Wir hatten beides – Schwein und Zelt.
Am Tag vor der Abreise in Bovec riefen wir auf der Drei-Zinnen-Hütte an und fragten vorsichtig nach freien Schlafplätzen. Im Nachhinein glaub ich, dass man generell vom Hüttenwirt einfach nur ausgelacht wird, wenn man die Übernachtung nicht mit mindestens 3 Monaten Vorlauf anfragt.
Aber gut – nun musste Plan B her. Plan B schaut aus wie Plan A, nur mit gedrückten Daumen und Zelt als Back-up. Wir spekulierten auf späte Betten-Stornierungen oder freie Plätze im Notlager und liefen entsprechend spät in Sexten los.
Wenn man so wie wir noch nie in den Dolomiten war und dann zum ersten Mal die himmelhoch aufragenden Felstürme rund um Sexten sieht – bleibt einem der Mund beim Wandern den ganzen Tag lang offen.
Die Zinnen werden ja nicht selten als eines der größten Naturwunder der Alpen bezeichnet. Vor allem ihr nordseitiges Antlitz mit seinen abweisenden, mehr als 500m überhängenden Nordwänden, in denen Alpingeschichte geschrieben wurde. Genau aus dieser Richtung kamen wir. Zunächst sieht man nur die Spitzen, aber mit jedem Schritt werden die Türme größer und größer. Der Spannungsbogen könnte dramatischer kaum sein. Ist kurz darauf der Punkt erreicht, ab dem man das ganze Ausmaß des Felstrios, mit der davorstehenden Drei-Zinnen-Hütte, umreißen kann, muss man erst einmal vor Staunen stehen bleiben.
In der Hütte war einiges los. Durchs Gewusel gingen wir zur Theke, legten eine entschuldigende Miene auf und fragten gespannt nach. Und tatsächlich, wir hatten Schwein, es waren Betten frei. Allerdings geknüpft an eine Halbpension – und die hatte es in sich! Drei-Gänge-Menü wie im Sternen (Hauben-) Restaurant.
Gratis dazu gab es einen Sonnenuntergang, der fast schon zu kitschig war, um wahr zu sein. Als hätte jemand die Zinnen mit Ambientelicht in Szene setzen wollen.
Ich wusste, dass man dem labyrinthartigen Normalweg auf die Große Zinne drei Eigenschaften nachsagt: Steinschlaggefährdet, sehr alpin und äußerst beliebt. Von einem der schönsten Normalwege in den Dolos ist die Rede. Vom Hüttenwirt ließ ich mir die üblichen Einstiegszeiten der Bergführerseilschaften verraten, als Orientierung. Völlig überfressen gingen wir zu (Stock-)Bett und brachen in der Dämmerung gegen 6 Uhr auf. Eine Stunde Zustieg. Am Paternkofel vorbei, um die Zinnen herum, zu deren Südseite.
Dort über die Geröllhalde hoch zwischen kleiner und großer Zinne. Nun wird es spannend. Die richtige Rampe muss man im steilen Couloir erwischen. Allzu knifflig war’s dann aber auch wieder nicht. Weil’s erstens für das geschulte Auge offensichtlich ist und man zweitens mit ungeschultem Auge immer noch den anderen Seilschaften (meist Guides mit Kundschaft) hinterherkraxeln kann. 😉
Im Stürzen-verboten-Gelände (I-III) steigen wir ein ins Felslabyrinth. Mit Rampen, steilen Wandpassagen, Kaminen, Querungen und Schuttbändern erwartet uns auf ca. 500 Höhenmetern die komplette Palette des Alpinkletterns.
An einer der vielen Kreuzungen im mittleren Teil orientieren wir uns an zwei Herren, die über uns Steinmännchen folgen und nach links abbiegen. „Die kennen sich sicher aus, die zwei“, hör ich uns noch sagen. Das nutzlose Topo kann man sich jedenfalls bei dieser wirren Route sonstwohin stecken. Also hinterher – bis wir sie vor einer senkrechten Wand mit brösliger Rissverschneidung eingeholt haben. Das Topo, welches sie sich etwas ratlos anschauen, kommt mir bekannt vor. Na toll! Blindes Vertrauen geht eben manchmal in die Hose. Aber gut – mit ein paar Friends kletter ich die Verschneidung hoch und muss Antje mangels Sicherungspunkte klassisch, wie vor 80 Jahren per Dülfer’schem Körperstand (Textilbelastungstest) nachholen auf’s Band. Auch irgendwie cool, zu solch nostalgischen Techniken gezwungen zu werden.
Dem Spürsinn folgend kommen wir kurz darauf wieder auf den Normalweg und gelangen einige Zeit später zur „Schlüssel-Seillänge“. Dem, mittlerweile marmorisierten und abweisend-steil ausschauenden Innerkofler-Kamin. Süße IV- hat er. Und trotzdem gibt’s hier Stau wie auf der A8 zum Ferienbeginn. Ich schieb mich an den japsenden Nachsteigern vorbei und sichere Antje – dieses Mal an soliden Klebehaken – nach. Es folgt die lange Querung über das obere Schuttband, vorbei an den gemütlich ausschauenden Biwakplätzen. Hinter dem „Bösen Block“, der seinem Namen nicht wirklich gerecht wird, zieht eine Schotterrampe hoch zum höchsten Punkt.
Gestern Abend standen wir noch zum Sonnenuntergang schmachtend auf der Terrasse – nun stehen wir auf dem Gipfel der Großen Zinne!
Der Kopf, vorausgesetzt man ist größer als 1m, schnuppert hier oben 3000er-Luft. Die kleinste der Zinnen liegt deutlich unter uns. Schon komisch, die Drei-Zinnen-Hütte von dieser Perspektive zu sehen.
Wir lassen uns Zeit, saugen die Landschaft in uns ein und machen Jause.
Zusammen mit einem älteren Bergführer mit noch älterem (>80 !!!) Freund und Kunden treten wir den Abstieg an. Unglaubliche Leistung des Opis! Die Geschwindigkeit der Beiden war uns gerade Recht. Als letzte Seilschaften des Tages hat man den großen Vorteil, dass einem keiner mehr Steine von oben auf den Kopf werfen kann.
Abklettern und Abseilen wechseln sich ab. Nochmal sind ca. 4-5h volle Konzentration gefragt. An der Gabelung im unteren Viertel verabschieden wir uns von unseren netten Gefährten.
Nach insgesamt 11h sind wir zurück an der Drei-Zinnen-Hütte. Weil wir schon im Stehen schlafen und daher den Komfort des 40€-Matratzenlager eh nicht zu schätzen wüssten, stellen wir unweit der Hütte unser kleines Zelt auf und bestaunen den erneuten Perspektivwechsel beim Anblick der großartigen Felsgestalten.
Der nächste Morgen. Rasch ist das Zelt abgebaut, bevor uns jemand bemerkt und rummeckert. Nach einem kleinen Frühstück schmeißen wir wieder die Wetter-App an und schielen rüber zum unweit gelegenen, höchsten Berg Österreichs, an dem sich die letzten Tage hartnäckig Schnee und Regen festgesetzt hatten. Und siehe da – es deutete sich ein dreitägiges Zeitfenster an. Die Chance wollten wir unbedingt nutzen, auch wenn man die Dolos bei solch einem Wetter nur ungern verlässt.
Unten im Tal verwandelten wir ein Hotelzimmer für den Rest des Tages in eine Kombination aus Wäscherei, Küche, Wohn- und Schlafzimmer bevor es am nächsten Morgen mit aufgeladenen Batterien losging zu einem unserer Hauptziele: Dem Großglockner
Steckbrief Große Zinne, Normalweg:
- Schwierigkeit: IV- (die Herausforderungen liegen eher darin, sich nicht zu verirren)
- Absicherung: Stände meist nur oberhalb der steilsten Passagen gebohrt, zum Abseilen. Dazwischen hier und da ein Haken
- Hoch/runter: 450hm (650 Klettermeter) / Abstiegsweg analog Aufstieg
- Übernachtungsmöglichkeiten: Drei-Zinnen-Hütte (Zustieg weiter, Aussicht auf die Nordwände dafür unschlagbar) oder Refugio Auronzo (per Mautstraße erreichbar, kurzer Zustieg wg. südseitiger Lage)