Touren in der Schweiz

Salbitschijen (2981m), Südgrat (Takala-Südgrat-Buchausstieg)

30.10.2022

Traum in Granit, mit nadeligem i-Tüpfelchen zum Schluss

Nach regnerischem Stotterstart im September gab der Herbst Ende Oktober noch einmal so richtig Gas. Perfekte Verhältnisse für die erste gemeinsame Klettertour mit Timo. Das passende Ziel war auch schnell gefunden:

Salbit – endlich! In höchsten Tönen gelobter Granitklotz mit irre gezackten Gratverläufen in beinahe alle Himmelsrichtungen, allen Schwierigkeitsstufen und bombastischem Fels. Von der schönsten Gratkletterei der Schweiz und darüber hinaus ist sogar die Rede.

Und weil man davon nicht genug bekommen kann, maximieren wir den Kletterspaß noch, indem wir die Takala dem Südgrat vorschalten. So der Plan. Den hatten aber, wie so oft am begehrten Salbit, auch ganz viele andere – zumindest dem ausgebuchten Winterraum auf der Salbithütte nach zu urteilen.

Weil ich generell solche Touren gern vom Tal aus gehe und Timo eh ein Konditionsmonster ist, war klar, dass wir vom Auto aus starten.

Bei der nächtlichen Anfahrt, das Göschener Tal hoch, werden wir von zwei Freiburgern im Multivan verfolgt. „Machen sicher den Südgrat“ scherzen wir noch – und tatsächlich – Raphi und Martin, so heißen die beiden, hatten exakt den gleichen Plan wie wir, wie sich kurz drauf am gemeinsamen Parkplatz „Grit“ herausstellte.

Timo und ich rätseln vorm Einschlafen noch kurz wie viel wohl los sein wird und wie sich die depperte Zeitumstellung in dieser Nacht eigentlich auf unsere Aufstehzeit auswirkt, aber irgendwann wird dann auch gepennt.

Um 3:30 Uhr klingelt der Wecker – immerhin ist‘s gefühlt schon 4:30 Uhr – danke Winterzeit. Schnell nen Espresso reingeprügelt und los geht’s. Es ist viel zu warm für die Jahreszeit. In dünnen Shirts rennen wir den steilen Bergpfad hoch. Rasch gewinnt man an Höhe. Der Wald wird lichter, die Bäume niedriger. Plötzlich stehen wir nach nur 80 Minuten vor der stockfinsteren Hütte. Im Vorraum stehen Kinderschuhe und Zwergenrucksäcke, auf dem Tisch leergetrunkene Bier und Weinflaschen. Schaut nach entspanntem Familienurlaub aus, aber nicht nach Salbitaspiranten. Weil wir die Takala nicht mit Kopflampe klettern wollen, machen wir erst einmal Frühstückspause. Kurze Zeit später kommen Martin und Raphi ums Eck gehuscht. Die beiden geben ein ordentliches Tempo vor. Timo und ich hängen uns an ihre Fersen. Im Hintergrund kann man in der beginnenden Dämmerung die Umrisse des Salbit-Stocks schon erkennen.

Es ist nun Sonntag, 6:30 Uhr. Normalerweise schläft man jetzt noch drei Stunden und geht dann zum Bäcker – wir aber stehen im ersten Tageslicht am Einstieg der Takala. Team Freiburg hat die Poleposition. Alle Befürchtungen bzgl. dem üblichen Stau und Gedränge an den Standplätzen sollten sich heute nicht bewahrheiten – den ganzen Tag haben wir den Berg für uns alleine – was für ein Glück!

Die Takala startet gemächlich in deutlich geneigtem Gelände. Die Linienführung ist etwas gesucht. Links und rechts davon könnte man es deutlich leichter haben, aber wollte man dies, hätte man auch gleich den klassischen Zustieg wählen können hoch zum Gratbeginn.

An die Plattenschleicherei und das Antreten auf Reibung muss man sich anfangs erst einmal gewöhnen als Kalkkletterer, aber wir kommen schnell rein. Die gut eingebohrte Route wird von Seillänge zu Seillänge immer steiler. An einem senkrechten Wändchen muss zur Abwechslung kurz kräftig gepiazt werden und danach sorgt steile Kletterei an Schuppen und Verschneidungen für noch mehr Abwechslung bis VI.

Nach vier schönen Längen erreicht man das schrofige Zwischenband unterhalb des Grates. Nun kann man sich wieder entscheiden: Martin & Raphi gehen zackig geradeaus hoch, in 4SL durch die Ostwand des ersten Turms (Zahn). Wir aber wollen den Kletterspass maximieren und steigen weiter links am Südgrat ganz unten ein.

Timo macht den Anfang, danach nehm ich mir vor, möglichst viele Seillängen zu kombinieren, was gut funktioniert. Am laufenden Seil kommen wir flott vorwärts und treffen in 5SL bis max. V+/VI- oben am Zahn-Gipfel wieder auf die Freiburger.

Blick zum Galenstock, Winterstock (mit der Grauen Wand auf der Rückseite) und der Salbit-Hängebrücke unten im Bild
Friends aus einer anderen Zeit
Raphi knapp unterhalb des Zahngipfels

Der Blick öffnet sich in Richtung Westen. Riesige Türme ragen dort unglaublich zackig und steil in den Himmel vor der vergletscherten, und bereits winterlichen Kulisse von Sustenhorn und Trabanten: der Westgrat! Der Rolls Royce unter den Granitgraten. Nur für schnelle und starke Seilschaften mit Genuss und an einem Tag zu schaffen bei 35 SL (VII obligat.). Lädt auf jeden Fall zum Träumen ein.

Die ersten drei Türme des Westgrates
Martin und Timo
Gleicher Moment aus Timos Sicht

Nicht minder spektakulär fällt der Blick auf den weiteren Verlauf des Südgrats aus. Schnurstracks zieht die messerscharfe Kante in ca. 9SL hoch bis auf den Plattenturm, inklusive der bereits sichtbaren Crux weit oben. So atemberaubend der Anblick, so imposant die Kletterei in eigentlich jeder Länge. Coolerweise haben unsere beiden Seilschaften ziemlich genau das gleiche Tempo drauf. So ergeben sich immer wieder nette Gespräche an den Standplätzen oder beim hintereinanderher-Klettern. Und natürlich die Möglichkeit gegenseitiger Fotoshootings.

Aufschwung zum Plattenturm mit der Crux recht weit oben
Immer wieder der Blick zum Westgrat rüber

An der spannenden Schlüsselstelle wird die Speicherkarte so richtig hart zum Glühen gebracht. Nominell mit VI+ und auch merklich die kniffligste Kletterei der Tour, allerdings auch hier wieder bei allerbester Absicherung. Ein ordentlich steiler, relativ strukturloser Turm muss an seiner linken Kante erklommen werden. Der Wind pfeift uns mittlerweile stramm um die Ohren.

An kleinen Leisten steigt man hoch bis zum markanten Seitgriff. Dort steht man eigentlich noch ganz gut, sucht dann aber vergeblich Tritte und Griffe über sich. Also auf Reibung und mit dem linken Fuß ums Eck auf einen kleinen Sockel. Dabei geht leicht die Tür auf, die rechte Hand beißt kurz in ein paar Granitkristalle. Löst sich zwar gut auf, ist aber als Einzelstelle frei geklettert für den Grad nicht geschenkt. Auch direkt im Anschluss, bequem auf dem Minisockel links der Kante stehend, bleibt es spannend. Rechte Hand an die Kante, linke Hand Zangengriff an einer Schuppe, danach wieder ums Eck zurück in die Platte in leichteres Gelände.

Als Timo und ich auf dem Plattenturm ankommen, sind Raphi und Martin bereits am Zwillingsturm zugange. Wieder glühen die Speicherkarten.

In die Scharte wird abgeseilt und wir fragen uns so langsam, warum wir eigentlich die 50m Rapline mitgeschleppt haben – ein zweites Seil kann man getrost zuhause lassen.

Da steh ich in der Scharte zw. Platten- und Zwillingsturm
Timo am Zwillingsturm
Ich, auf dem Zwillingsturm
Timo und ich, kurz vorm Abseilen vom Zwillingsturm

Zwischen Zwillingsturm und Gipfelwand ist der Südgrat mit ein wenig Geh-/ Abkletter-Gelände unterbrochen. Man hat nun wieder die Wahl. Je weiter links die mächtige Gipfelwand angegangen wird, umso höher die Schwierigkeiten. Links außen, über einen weiteren Abseiler in einer Rinne erreichbar: die Direkte Südwand (5SL, VI+). Mitten in der Wand: die Buchvariante (4SL, VI). An der rechten Begrenzung: die Fortsetzung des klassischen Südgrats (3SL, V+). Gemeinsam beratschlagen wir uns kurz alle gemeinsam. Auch nach fast 20 Seillängen haben wir noch immer Bock auf eine Zugabe und finden die Vorstellung, direkt am namensgebenden Gipfelbuch rauszukommen ganz verlockend – also ab durch die Mitte.

Wandkletterei vom allerfeinsten wird auch hier wieder geboten. Erst an Rissen und Schuppen durch eine muldenartige Platte.

Im Anschluss von luftigem Stand weg steil über einen griffarmen Bauch.

Zuletzt ums Eck in eine markante Rissverschneidung und diese kerzengerade hoch.

Der Ausstieg erfolgt direkt neben der spektakulären Gipfelnadel. Dieser phallusartige, 12m-hohe Hinkelstein setzt dieser großartigen Tour die Krone auf. Ungläubig wandert der Blick den messerklingenförmigen Obelisk entlang, ohne eine Zwischensicherungsmöglichkeit ausmachen zu können. Hat man die scharfe Klinge erst einmal in der Hand lässt es sich dann aber wunderbar hochtänzeln. Spitzer und exponierter kann man sich einen Gipfel nicht vorstellen. Maximal vier Füße passen oben drauf. Jetzt macht sich die mitgeschleppte Weitwinkelkamera so richtig bezahlt.

Raphi und Martin treibens auf die Spitze

Auf nun fast 3000m Höhe liegt nordseitig schon reichlich Schnee. Der Abstieg beginnt direkt unterhalb der Gipfelnadel. Dort schlüpft man unter einem riesigen, querliegenden Block hindurch und steht auf der anderen Seite plötzlich mit den Füßen in einem halben Meter Schnee. Ist halt doch schon fast November.

Ohne Steigeisen stapfen wir vorsichtig anfangs noch über den Ostgrat und bald im Zickzack links durch die verschneite Flanke runter in den Gletscherkessel. An dessen unterem Ende ist der winterliche Spuk glücklicherweise auch schon vorbei. Der steile Trampelpfad runter, zurück zum Wandfuß, wäre ansonsten definitiv unangenehmer zu begehen gewesen.

Streckenweise joggend holen Timo und ich die beiden Freiburger kurz vor der Salbithütte wieder ein, so dass wir diese rundum perfekte Gemeinschaftsbegehung, zurück an den Autos, zusammen mit ein paar Bierchen ausklingen lassen.

Und ja: der Salbit-Südgrat wird seinem Ruf absolut gerecht! 😊

Steckbrief Salbit, Südgrat:

  • Schwierigkeit: VI+, VI- obl.
  • Absicherung: alle Stände gebohrt, generell hohe Bohrhakendichte, Crux zusätzlich gut eingenagelt
  • Schlosserei: reichlich (Alpin-) Exen (ca. 12) und bei Bedarf Standardset Friends + Schlingen
  • Hoch / runter: Zustieg 1400hm, 770 Klettermeter (ca. 23 SL) auf ca. 500hm (wegen Abseilern), 1800hm Abstieg

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