17.11.2018 – 18.11.2018
Höchster Berg des Fürstentums
Der November ist aus Sicht des Bergsports eine Wundertüte. Mal erlaubt ein früher Wintereinbruch die erste Skitour oder der Sommer geht in die Verlängerung und ein besonders langanhaltender, goldener Herbst schenkt dir die Gelegenheit recht spät im Jahr noch den vermeintlich einfachsten der „Seven Summits“ einzukassieren. Doch wir mussten dafür ein kleines Opfer bringen in Form einer Notbremse, denn am Abend vor der Tour war Firmen-Weihnachtsfeier.
Die Vollbremsung wollte uns bloß irgendwie nicht so ganz gelingen, weshalb wir am Samstagmorgen die Snooze-Funktion des Handyweckers ausreizten und somit einen Zustieg zur Berghütte im Stockdunkeln in Kauf nahmen.
Von allen Seven Summits ist die Vordere Grauspitze sicherlich der am wenigsten prominente und am seltensten begangene. Und das, obwohl er auch aufgrund seiner geringen Höhe vom Gesamtanspruch her auf dem Papier der einfachste der sieben Berge darstellt. Genau darin liegt der Reiz. Keine Karawanen, keine Schilder und keine ausgetrampelten Autobahnen weisen den Weg. Diese Bergtour besticht durch natürliche Einsamkeit.
Es wurde für uns tatsächlich die bislang erste Gipfelbesteigung, auf der wir keine Menschenseele antreffen sollten.
Zwei Möglichkeiten der Annäherung gibt es für diesen Grenzgipfel. Am häufigsten erfolgt der Aufstieg über die südliche Schweizer Seite, unter Zuhilfenahme der Älplibahn im Heidiland. Eine lange Eintageswandertour. Weil die Tage im November sehr kurz sind und die Älplibahn schon längst den Betrieb eingestellt hatte, blieb für uns als Alternative der Anstieg über die Liechtensteiner Seite im Norden. Übernachtung im Winterraum der Pfälzerhütte inklusive.
Noch immer etwas weihnachtsfeiergeschädigt kommen wir nachmittags in Malbun an und sind überrascht wie winterlich die Nordseite der Grauspitzkette ausschaut. Erste Zweifel kommen auf, wegen des steilen Zustieges zum Grenzsattel – so ganz ohne Steigeisen und Pickel eventuell zu heikel.
Ungefähr auf halber Strecke in Richtung Bettlerjoch holt uns die Dunkelheit ein. Auf Höhe der Gritsch-Alm (1900m) spitzt der Vollmond plötzlich über die Berggipfel und erleuchtet die Nacht – als hätte jemand das Licht angeknippst.
Es ist so hell, dass wir die Stirnlampen im Rucksack lassen und uns unauffällig der unbewirteten und stockfinsteren Pfälzerhütte nähern, auf der Grenze zw. Österreich und Liechtenstein. Die Spannung steigt. Wird sich die Tür zum Winterraum tatsächlich ohne Schlüssel öffnen lassen? Sind wir wirklich alleine?
Der Winterraum ist nicht Teil der großen Hütte, sondern ausgelagert, als separates, an den Fels gebautes, kleines Hexenhäuschen. Im Sommer vor einigen Jahren hatten wir bereits hier übernachtet bei einer Zweitageswandertour auf den angrenzenden Dreiländergipfel Naafkopf. Damals war einiges los auf der Hütte und im Hexenhäuschen. Nun stehen wir in gespenstiger Stille vor der massiven Eingangstür. Ich drücke die Türklinke nach unten – zugeschlossen! In der Tür befindet sich im oberen Bereich eine Art große Luke… und siehe da – sie öffnet sich. Schwein gehabt. Die Luke ist wohl der Winterzugang – für den Fall, dass die Tür durch Schnee und Eis blockiert ist.
Wir haben das komplette, geräumige, zweistöckige Appartement für uns allein. Inklusive Doppelbett, Ofen, Holz und Sitzecke mit Decken. Der pure Luxus! Sofort wird sich ans Anheizen gemacht und gekocht.
Der nächste Tag erwacht. Während es draußen zu dämmern beginnt, machen wir uns fertig für den Aufstieg.
Anfangs noch entlang des Wanderpfades, an einer Herde Gämsen vorbei, bald weglos und über die ersten Schneefelder steigen wir auf der Nordseite auf. Unterhalb des Jochs wird’s richtig steil, aber der Schnee hat sich bereits verdichtet und wir kommen vorbei an bizarren Felsformationen problemlos zum Grenzkamm.
Passend zum Monat November teilt der West-Ost-ausgerichtete anschließende Grat die Landschaft in Sommer und Winter. Man wandelt auf der Schneide zwischen den Jahreszeiten. Eine Seite: Hell erleuchtete grüne Berghänge, andere Seite: düstere, zugeschneite Nordwände. Eine beeindruckende Szenerie. Gepaart mit der wärmenden Sonne wird die Tour nun zum Hochgenuss.
Ein schwach ausgeprägter Trampelpfad führt in einem Mix aus Gehgelände und ganz leichten Kletterpassagen zunächst hoch auf die Hintere Grauspitze, die zwar niedriger ist als ihr Nachbargipfel, dafür aber seltsamerweise ein großes Gipfelkreuz besitzt.
Auf der Rückseite erwartet uns nun die Schlüsselstelle, wenn man sie so nennen will. Am luftigen Grat muss in nicht überall vertrauenserweckendem Fels behutsam der Rückwärtsgang eingelegt werden. Der IIer schaut von oben schlimmer aus, als er ist, aber Abklettern fühlt sich eben immer anders an.
Vom Sattel zwischen der Hinteren und Vorderen Grauspitze aus zurück geblickt sieht der Gipfel schon beachtlich aus – wie ein steiler Zahn. Unschwierig, ohne weitere Hindernisse, aber nach wie vor schön ausgesetzt zieht der Trampelpfad von nun an wieder aufwärts zum höchsten Punkt.
Obwohl höher als die Hintere wollte bisher scheinbar noch niemand ein Gipfelkreuz auf die Vordere Grauspitze schleppen. Dafür finden wir in einem Steinhaufen eine Schatulle mit Buch und tragen uns auch gleich ein.
Die kalte Novemberluft sorgt für glasklare Sicht auf die umliegenden Bergketten. Ein toller Tag!
Der Rückweg ist bis auf den Schlenker zur Pfälzer Hütte nahezu identisch zum Aufstieg. Die Crux an der Hinteren Grauspitze ist im Aufstieg auch nicht mehr als steiles Treppensteigen und beim Stapfen im steilen Schnee der Nordseite wünscht man sich ein Snowboard unter den Füßen.
Unten im Tal angekommen begegnen wir am Ende dann tatsächlich nach zwei Tagen in der Abgeschiedenheit doch noch einigen Sonntagswanderern.
Neuer Projektstand: Sechs von Sieben! Letzter, fehlender Gipfel der „Seven Summits“: die Dufour-Spitze in der Schweiz 🙂
Steckbrief Vordere Grauspitze via Nordroute (Liechtenstein):
- Schwierigkeit: II (eine Stelle an Hintere Grauspitze)
- Hoch / runter: 1300hm (ab Steg)
- Übernachtungsmöglichkeiten: Pfälzer Hütte