04.-05.09.2017
Einmal im Leben auf einen 6000 Meter hohen Berg klettern…
steht auf vielen Bucket-Lists. Erst recht auf den Listen der Bergbegeisterten – also auch auf unserer! Aber schön sollte der ausgewählte Berg schon sein und verdienen muss man ihn sich auch. Schuttberge wie der Chachani (schöne Grüße an Tibi 😉 ) in Peru, oder der Uturunca in Bolivien kommen da gar nicht erst in Frage. Wenn ein Jeep bis kurz unterhalb des Gipfels die Straße hochfahren kann, zählt der Berg nicht und Schotterterror auf 6000m kann auch kein Mensch gebrauchen! Das Ambiente sollte alpin sein. Ein formschöner, freistehender, vergletscherter Berg mit spektakulärem Abschlussgrat und phänomenalem Gipfelpanorama wäre perfekt!
Huayna Potosi heißt der Auserwählte!
Die Gräber im Bild stammen angeblich nicht von verunglückten Bergsteigern…
Huayna Potosi erfüllt alle oben genannten Anforderungen, hat satte 6088m und ist zufällig einer der Hausberge von La Paz in der Cordillera Real, der Königskordillere. Antje zeigt nochmal kurz auf den dicken Kameraden von La Paz aus:
Die komplette Ausrüstung für die Aktion ist überraschend schnell organisiert. Felix Andino, der nette Bergführer von nebenan, versorgt uns mit Material, Transfer und Infos für lächerliche 70 Euro (inkl. Übernachtung auf der Berghütte). Geht also auch unkompliziert und günstig in Bolivien 😉 Mussten zwar erst einmal das defekte vom intakten Material (Seile halb zerschnitten, etc.) trennen, aber irgendwann hatten wir alles zusammen und am Berg auch keinerlei Probleme.
Checkliste:
- Ausreichend Motivation – waren heiß wie Frittenfett!
- Kondition – nach den 8km Fußmarsch mit 30kg / 20kg auf dem Rücken die Salzpfanne entlang haut dich nix mehr um
- Gutes Wetter – Typische Alpenwetterprognose im Sommer: Nachts & morgens klar, gegen später immer instabiler
- Gute Bedingungen am Berg – es war Saisonende, große Spalten, aber ausgetrampelter Pfad am Gletscher
- Akklimatisation – Tunupa + drei Wochen Altiplano (> 3700m) sollten reichen
- Kokablätter – die Allzweckwaffe war immer parat
- Wasserversorgung – vier Liter pro Tag / Person. Motto: „Trink dich auf den Gipfel“
- Ausreichend Futter
Attacke! Wenn die 5000er (Tunupa) nicht gehen, dann eben die 6000er 😉
Rein ins Shuttle, kurz bei der Polizei melden und hoch auf den Pass, der beinahe auf Höhe des Montblanc liegt, 4750m.
Unser Plan ist es, erst einmal ganz gemächlich die 400 Höhenmeter zum Refugio Campo Alto Roca hochzuwatscheln, uns dort den Bauch ordentlich vollzuschlagen mit unserem vorgekochten Gemüsereis (3 Hauben, österr. für 3 Sterne) und dort unsere bisher höchste Nacht auf 5130m zu verbringen. Um 1 Uhr Früh aufstehen, Kopflampen einschalten und dann zum Sonnenaufgang unseren ersten 6000er zu bezwingen – klingt super!
Nach zwei Stunden Anfahrt von La Paz machen wir uns also auf den Weg zum Camp, die Backen stopfen wir mit Kokablättern voll, die Höhenkrankheit soll uns ja nicht von unserem genialen Vorhaben abhalten! Hinter uns lassen wir Touristen mit ihren Guides im Eis, die sich erstmal gletscherfit machen und ihre ersten Übungen mit Eispickel & Co praktizieren. Brauchen wir alles nicht – damit sparen wir einen Tag Zeit und einen Haufen Geld!
Bevor es dann richtig steil bergauf geht, sehen wir einige Meter unter unserem Weg so eine Art Nomaden-Zelt zwischen den Felsen. Wer hier wohnt, muss ein Riesenmasochist sein, denken wir uns und nicken dem Mann nur halbherzig zu, der uns irgendwas mit „libro“ hinterherruft. „Grazias senor!“. Wir kaufen ihm fix kein Buch ab, das müssten wir ja raufschleppen! Beim Runtergehen haben wir dann verstanden, dass wir uns hier ein weiteres Mal hätten registrieren sollen (im Buch) – ups! Wieder Geld gespart 😉
Im Camp angekommen, stellen wir unser Gepäck ab und erkunden noch den Weg, den wir morgen Früh um 1 nehmen müssen, die 100 Höhenmeter mehr dienen aber in erster Linie der Akklimatisierung (hoch gehen, tief schlafen). Hier treffen wir auch eine Gruppe verrückter Spanier, die nach einer ewigen Diskussion, wo sie nun ihr Zelt aufschlagen sollten, doch bei uns in der Hütte schlafen. Dabei hatten sie alles, was man am 6000er so braucht – Kuchen, riesengroße Bratpfanne und anderes unnötiges Glumpert (österr. für Gelump).
Saunett von Felix Andino, dass er uns seinen Gasschlüssel für die Gasflasche zum Essenaufwärmen mitgegeben hat und saublöd, dass der Schlüssel in keines der sechs Schlösser passt! Zum Glück sind eh gerade zwei Guides für ihre Kunden am Köcheln und wir fragen, ob wir unseren Reistopf ein paar Minuten mit ihrem Gas aufwärmen dürfen, wird ja kein Problem sein! Ach nein, sorry, vergessen: Wir sind ja in Bolivien, hier gibt’s ja nix gratis! Am Ende rettet uns dann Guide #3, der uns mit seinem Gas eine warme Mahlzeit beschert und das ganz ohne Gegenleistung – geht ja doch! 🙂
Wenn man um 01:00 Uhr aufstehen muss, ist 18:00 Uhr die Zubettgehzeit, nicht Schlafenszeit, das wäre der falsche Ausdruck, weil man auf dieser Höhe höchstens ein bisschen vor sich hindöst. Antje hat auch mit ihren kalten Füßen (-10°C) zu kämpfen bis der Wecker läutet! Alle Gruppen (französisches Pärchen mit Guide, Timon aus Deutschland mit Guide und wir zwei) starten gleichzeitig, die drei Spanier schnarchen weiter. „Ah aus Deutschland und Österreich kommt ihr – ja die kommen eh immer bis zum Gipfel“, sagt einer der Guides. Okay, wir werden die Statistik hoffentlich bestätigen, denken wir uns… immerhin scheitern satte 50% an diesem Berg und manche Nationalitäten kommen sogar nie oben an, wurde uns verraten. Brasilianer zum Beispiel – da weiß der Guide schon von Anfang an, dass er einen kurzen Tag haben wird.
RRRRRING – 1 Uhr… saufrüh, saukalt, Ruhepuls 120 – kann losgehen! Schnell mal durch die Runde schauen… alle ziemlich zerknautscht, die Franzosen gar kreidebleich. „Vamonos, vamonos“.
Kurz hinter dem Refugio Steigeisen anziehen und rauf auf den Gletscher. Schöner Trampelpfad… findet sogar ein Blinder mit Stock. Treuer Begleiter sind der Lichtkegel vor einem und der golfballgroße Kokaklumpen im Mund. Schmeckt beschissen, aber das tut Medizin ja eigentlich immer. Gesichtskontrolle bei Antje nach den ersten 500m: Blau angelaufene Lippen, Chamäleon-Augen-über-Kreuz-Blick, Eiszapfen an der Nase. „Denk an die Statistik!“ – „Jo geht schon…“.
Nach anfänglichen Startschwierigkeiten (wie bei einem alten Dieselmotor) lief unsere Zweierseilschaft bald unaufhaltsam im Schildkrötentempo Meter um Meter durch die dunkle Nacht dem Gipfel entgegen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Franzosen, wie wir später hörten, bereits übergeben und sind abgestiegen.
Auf halber Strecke musste eines der wenigen kniffligen Steilstücke hochgepickelt werden…
… aber der Ausblick dahinter auf La Paz war die Mühe wert.
Bei allen Bergtouren, die nach diesem Muster ablaufen gibt es immer zwei besondere Momente – der Sonnenaufgang beim Aufstieg und die Gipfelfreud!
Das Finale – der markante Abschlussgrat hoch zum Gipfel:
Auf dem Grat, am Horizont – der Ancohuma 6427m, direkt neben dem Titicacasee gelegen:
SUMMIT !!! Nach 5,5 Stunden und knapp 1000 Höhenmetern ab dem Refugio standen wir am 5. September 2017 um 7 Uhr morgens auf dem Gipfel des Huayna Potosi, bei bestem Wetter mit Blick auf den Titicacasee, La Paz, das gewitterumtobte Amazonasbecken und die umliegenden 5000er und 6000er der Cordillera Real. Ein Wahnsinnsgefühl!!
Das Finale als Video:
Nachdem der Adrenalinschub etwas nachgelassen hat, wird’s in der Höhe auch schnell wieder ungemütlich. Das Wasser in der Flasche war gefroren und die Nüsse schmeckten wie Staub. Deshalb alles aufsaugen und nix wie runter, wo in La Paz die Annehmlichkeiten der Zivilisation warten, wie Kokatee, Bier und Quinoaburger.
Jetzt im Hellen sehen wir nun auch, durch welche bizarren Eislandschaften wir uns beim Aufstieg hochgeschunden haben.
Das Mehrfamilienhaus aus Eis hat gottseidank auch noch lange genug gehalten:
Wieder unten am Startpunkt angelangt, konnten wir zusammen mit Guides und Kunden im Minibus zurück nach La Paz fahren und erlebten noch einmal das volle Ausmaß der bolivianischen „Gastfreundschaft“:
Auf dem Weg durch die Hochlandeinöde trampte ein Wanderpärchen, das offensichtlich erleichtert war eine Mitfahrgelegenheit zurück in die Zivilisation zu ergattern. Unser Minibus mit reichlich freien Plätzen an Bord hielt an, das Gespräch zwischen dem Guide am Beifahrerplatz und dem Touristen-Pärchen lief folgendermaßen:
Guide: „Was wollt ihr zahlen?“. Wanderer: „50 Bolivianos??“. Guide lacht, sagt abfällig „Ciao“, schiebt das Fenster zu und der Fahrer gibt Gas. Ohne Witz!! Ist genau so passiert! Wir sahen im Seitenfenster noch die geschockten Gesichter des Pärchens und hatten selber 200 Puls.
Zurück in La Paz stürmten wir als erstes, noch vor Dusche und Schläfchen, unser Lieblings-Restaurant „Cafe del Mundo“ und setzten eine komplett übertriebene Bestellung ab. Mahlzeit!!!
Steckbrief Huayna Potosi via Normalroute:
- Schwierigkeit: PD (I)
- Absicherung: /
- Hoch / runter: 1000hm (ab Campo Alto Roca) / 1300hm (bis Passstraße)
- Übernachtungsmöglichkeit: Campo Alto Roca (unbewirtete Berghütte)