AllgemeinTouren in der Schweiz

Nadelhorn (4327m), Stecknadelhorn (4240m), Hohberghorn (4218m), Dirruhorn (4035m) – kompletter Nadelgrat

Monatelanges Draufhintrainieren, Schinden, Schmerzen aushalten, Zweifeln, trotzdem dranbleiben, alles in Frage stellen, Hoffen, wahnsinnig drauf freuen, Erwartungen zurück schrauben, Antesten, Training anpassen, den Schweinehund begraben, immer weiter steigern – alles auf diesen einen Tag, diese eine Tour hin.
Warum der ganze Stress? Weil es ein unbeschreibliches Glücksgefühl ist, zurück zu sein!

Es hätte fürs Hochgebirgs-Comeback nach 10 monatiger Verletzungspause auch eine Tour kleineren Maßstabs sein können. Der beim Unfall mehrfach gebrochene und in drei Operationen wieder zusammengeflickte Fuß – noch immer stark eingeschränkt, von den restlichen Baustellen ganz abgesehen. Aber es musste der Nadelgrat sein. Als ich mich wieder langsam mit Bewegungssport beschäftigen konnte, schickte mir Freddie den neuen DAV-Trailer zu dieser Tour.
Atemberaubende Luftaufnahmen und Bilder gepaart mit Lobeshymnen: „Es gibt nicht viele Berge in den Alpen jenseits der viertausend Meter, die sich so perfekt aneinanderreihen und durch einen derart idealen alpinen Grat vereint werden“.
Seitdem bekam ich den Gedanken nicht mehr aus dem Kopf.

Zu der Tour gibt’s im www reichlich Berichte. In zwei Charakterzügen sind sich alle einig: wunderschön und ultra anstrengend. Letzteres hab ich so gut es ging versucht zu ignorieren. Ich war sogar drauf eingestellt, nach dem langen Hüttenzustieg, nachts vor dem Aufbruch die Reißleine zu ziehen und einfach mit ein paar Bier die Aussicht von der Terrasse aus zu genießen.

Start in Gasenried. Der Gletscher ist schon in Sicht.
Auf der Bordierhütte angekommen.
Auf das was kommen mag.

Als morgens um 1:45 Uhr der Wecker klingelt fürs Frühstück, kletter ich vom Hochbett, stell mich auf die Füße, gehe ein paar Meter und bin verwundert, wie wenig von den knapp 1300 Höhenmetern Zustieg am Vortag hängen geblieben ist. Grünes Licht für den Grat!
Als wäre die Tour nicht eh schon lang genug, dürfen wir so spät in der Saison noch ein paar extra Kilometer einplanen und ganz außen rum latschen via Galenjoch, weil der Direktzustieg aufs Dirruhorn, die Selle (Firncouloir), in den letzten Tagen dahingebrutzelt ist.
Was zahlenmäßig nach einem verkraftbaren Mehraufwand ausschaut, entpuppt sich beim Hochschottern zum Joch und vor allem beim Überklettern schier unendlich vieler Vorgipfel am kleinen Dirruhorn, als übelst zäher Aufschlag. Ziemlich genau 7h benötigen wir für den Abschnitt Hütte – Dirruhorn. Genau so lange hat vor einigen Wochen meine bisher längste Testtour im Allgäu gedauert – das kann ja heiter werden.
Dazu kommt, dass Thomas und ich (alle anderen glaube ich auch) total unakklimatisiert, hier oben auf 4035m schon ordentlich am Pumpen sind. Zudem pfeift uns ein eiskalter Wind um die Ohren. Die Stimmung ist trotzdem bestens. Weil man nun den gesamten Rest vom Grat, mit den drei folgenden 4000ern vor sich und die gesamte Walliser Himalayalandschaft um sich herum hat und dazu auch noch die Sonne aufgegangen ist.

Das Feld von insgesamt 14 Aspiranten an diesem Tag hat sich mittlerweile ordentlich verteilt. Leider zwingt mich mein Fuß zu einem kontinuierlichen, flotten Grundtempo, so dass wir Janina und Freddie bereits früh am Grat aus den Augen verlieren. Zwischen uns sind noch drei Italiener unterwegs. Vor uns zwei Dreierseilschaften auf Prüfungstour. Bergführer mit ihren Anwärtern. Ganz hinten am Seil erkennt Thomas‘ krasse Gesichtserkennung Silvan Metz, Bergführeranwärter und im Dauereinsatz als Bergfotograf für den DAV und andere Magazine. Weil wir eine Weile mithalten können, springen dabei noch nette Fotos vom Profi für uns raus. Danke Silvan! 😉

Irgendwo zw. Galenjoch und dem Kleinen Dirruhorn auf Vorgipfel Nummer 827.

Die Felsqualität am Grat reicht von gut bis schlecht. Viel zu oft muss man in die steilen Flanken ausweichen, dort liegt das Spektrum eher im Bereich schlecht bis gruselig und wir sind dann doch froh über die zapfigen Temperaturen, die wenigsten den ganzen losen Schrott zusammenkleben.

Weil wir uns so sicherer fühlen in dem nicht immer zuverlässigen Gelände, klettern wir den gesamten Grat am laufenden Seil. Mit Schlingen, teilweisem Nachsichern an Felsköpfen und nach Bedarf beidseitiger Seilanpassung verlieren wir schätzungsweise nur 1h insgesamt.
Ich weiß nicht mehr genau wo, am kleinen Dirruhorn glaub ich, gibt es eine (leider nur eine…höhö) schöne Kletterpassage an luftiger Kante, mit kurzem Abseiler. Dort standen wir hinter den durchsichernden Bergführertrupps eine Weile im Stau, bis wir die komplette Passage spontan rechts in der schattigen Flanke zeitsparend, dafür im unschönen Schutt, umgangen haben.

Rückblick zum Kleinen Dirruhorn.
Das mächtige Weisshorn grüßt von der gegenüberliegenden Talseite.
Auf dem Großen Dirruhorn mit dem spektakulären Weiterweg im Blick.
Janina, Freddie und die Italiener am Dirruhorn.

Kurz hinter dem Großen Dirruhorn legen die Sechs allerdings im einfacheren Gelände den Turbo ein und sind auf und davon (oder wir immer langsamer).
Entweder haben sich die Kartografen so richtig vermessen oder die Perspektive täuscht gewaltig, aber zwischen Dirruhorn und Hohberghorn geht es im Anschluss gefühlt hunderte Meter tief in die Gegensteigung. Auch die Jöcher danach schauen nicht anders aus. So summieren sich die Höhenmeter am Ende in Richtung 2000er Marke.

Ausnahmsweise mal schöner Kletterfels direkt an der Kante.

Ab dem Hohberghorn wird der größtenteils felsige Grat regelmäßig von tw. steilen, aber heute sehr griffigen Firnfeldern unterbrochen. Steigeisen an, Steigeisen aus, im ständigen Wechsel. Man könnte die Dinger ja auch einfach anlassen, aber damit war mein Fuß nicht einverstanden.

Durchs Flankengebrösel.
Auf dem Hohberghorn.
Im Joch vorm Stecknadelhorn.
Die Dom Nordseite mit Normalwegspur mittig.
Auf dem Stecknadelhorn. Fürs Foto nochmal schnell das Gesicht gerichtet.
Das letzte Einhorn in der Reihe.

Die dünne Luft, die Anstrengung und die stundenlange Konzentration machen sich bemerkbar. Schade, dass wir nicht auf jedem Gipfel ein Selfie gemacht haben – wäre eine lustige Dokumentation des Zerfalls. Man könnte an unseren Gesichtern ablesen, was der Berg mit uns macht. So wie bei Forrest Gump, als er im Film einfach losläuft, nicht mehr anhält und jahrelang durch die USA rennt wie gestört. Nur bei uns eben im Zeitraffer in ca. 12 Stunden. So lange brauchen wir nämlich bis zum Nadelhorn, seit unserem Abmarsch. Ein Gipfel davor, auf dem Stecknadelhorn, posaunen wir mit kratziger Stimme raus, dass wir uns „den letzten, verfluchten Scheißgipfel“ jetzt auch noch holen. Doch gleich hinter dem großen Gendarm, da wo der Nadelgrat eigentlich zu Ende ist, weil man unterhalb der letzten Felsen nach links in den Normalweg rüber quert, überlegen wir es uns anders. Es sind vielleicht noch lächerliche 50 Höhenmeter, aber der Schnee wird immer weicher, der Abstieg ist zäh, der Tag bereits überlang, der Drang die Schuhe auszuziehen, auf die Bank zu hocken und eiskaltes Dosenbier in sich rein zu kippen ohnehin nicht mehr auszuhalten. Außerdem rechne ich schon seit Stunden damit, dass mir der Fuß abfällt.
Und weil Thomas nach der Lenzspitze (Ostgrat) eh schon auf dem Nadelhorn stand und ich die Tour auch unbedingt noch machen will, hat die Entscheidung nicht lange weh getan.

Via NO-Grat steigen wir schnell ins Windjoch ab, von da auf die breitgetrampelte Gletscherautobahn runter in Richtung der bereits sichtbaren Mischabelhütte, den Lenzspitze-Ostgrat und die mittlerweile etwas erbärmlich ausschauende NO-Eisflanke vor Augen.

Lenzspitze NO-Grat und Traverse zum Nadelhorn im Profil.

Am Ende kommen wir nach geschlagenen 14,5 Stunden ohne größere Pausen, ziemlich fertig auf der spektakulär gelegenen Hütte an.
Janina und Freddie sehen wir am Beginn unseres Abstieges noch ein letztes Mal irgendwo zwischen Hohberg-/ & Stecknadelhorn, können aber zunächst keinen der beiden erreichen. Die dünne Luft schlägt auch bei ihnen voll ein. Janina gibt später telefonisch Entwarnung und wir sind erleichtert zu hören, dass beide im Abstieg sind. Ein paar Büchsen später kommen sie nach und holen sich die verdiente Suppe + Bier ab. So richtig zerlegt es die Italiener, die ursprünglich sogar bis ins Tal nach Saas Fee absteigen wollten, stattdessen erst um 23 Uhr, nach elenden 21h, in die Hütte schlürfen. Da fragen wir uns alle, wo die für die Tour angegebene Führerzeit von 10-12h herkommt. 😉

Wie mein Fuß diese Dauerbelastung so lange hat aushalten können, ohne die rote Karte zu zücken, ist mir (und noch mehr meinem Physio und Arzt) ein Rätsel, über das ich mich bereits oben gegen Ende des Grates so dermaßen freue, dass mir die Tränen kommen. Jede Physioeinheit, das stundenlange Gerätetraining, jeder Kilometer auf dem Fahrrad, die Wanderungen mit Antje und Maya, jede einzelne Treppenstufe im Wohnhaus. Alles Puzzleteile um das Unmögliche möglich zu machen. Die Trekkingstöcke waren meine Krücken, die engen Nike-Tennissocken meine Kompressionsstrümpfe und die steifen Bergstiefel meine Orthesen. Den Rest hat der Kopf erledigt – der stärkste Muskel im Körper.

Man kann das Gefühl nicht beschreiben nach so langer und immer noch andauernder Leidenszeit eine solche Tour realisieren zu dürfen. Da war es auch völlig wurscht, dass ich schon kurz nach dem Schuhe ausziehen auf der Hütte nur noch rumhumpeln konnte und am nächsten Tag die 1000hm nach Saas Fee in Zeitlupe runtergekrebst bin.
Von der adlerhorstartigen Aussichtsterrasse der Mischabelhütte hat man einen premium Rundumblick auf ganze acht 4000er. An so einem schönen Ort hätte man ja nach diesem gelungenen Comeback eigentlich Grund genug champusspritzend Freudentänze aufzuführen. Der Körper ist nur leider so krass ausgebrannt und der Kopf mental nach diesem stundenlangen Konzentrationsmarathon so arg zermatscht, dass wir uns nach Ankunft bloß zusammengesackt, stumm an der Wand sitzend das Büchsenbier einverleiben. Stille Zufriedenheit und ganz viel Dankbarkeit.

Cheers! Auf’s Leben! Und meinen Geburtstag…auf den Tag genau!
Alphubel, Täschhorn, Dom und Lenzspitze von links nach rechts am nächsten Morgen.
Was für ein Ausblick!
Im noch recht ursprünglich gebliebenen Saas Fee.
Campingidylle in Saas Grund.
Goldrausch im Binntal. Unser Entspannungsprogramm nach der Tour.
Pyrit im weißen Dolomitmarmor
Bergkristall
Schwarzer Turmalin
Muskovit

Steckbrief Nadelhorn, Nadelgrat:

  • Schwierigkeit: AD+ (lll+, Firn bis 50°)
  • Absicherung: gut mit Schlingen zu bewerkstelligen, bei Bedarf Grundset Cams mitnehmen. 40m Seil war ausreichend
  • Hoch / runter: 1300hm Zustieg (Gasenried-Bordierhütte), ca. 2000hm Nadelgrat (Bordierhütte-Nadelhorn), 1000hm Abstieg bis Mischabelhütte und nochmal 1000hm (mit Gondel) bzw. 1500hm bis Saas Fee
  • Übernachtung: Bordierhütte (2886m), Mischabelhütte (3340m)

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