Touren in Italien

Große Zinne (2999m), Nordwand (Comici-Dimai)

17.06.2022

Eine der sechs klassischen Nordwände der Alpen bei perfekten Verhältnissen

Nass-kalt, abweisend, einschüchternd überhängend und dennoch aufgrund ihres alpinistischen Stellenwertes oft hoffnungslos überlaufen zur Hauptsaison: die Comici-Führe an der Große Zinne-Nordwand.

Normalerweise im Hochsommer ab Juli beklettert, wenn der Schnee im Gipfelbereich abgeschmolzen ist, aber was ist in den Alpen zu Zeiten des Klimawandels schon „normal“?

Eigentlich wollten Tobi und ich zur Badile-Nordwand, weil wir aber keine Informationen zu den Verhältnissen bekommen konnten und in den Dolos Premiumwetter gemeldet war, entschieden wir uns spontan für die Zinnen – „da geht ja immer was…“. Aber ob die Nordwände so früh im Jahr schon gehen würden – großes Fragezeichen.

Um noch mehr Spannung rein zu bringen, hab ich mir am Abend zuvor in der Kletterhalle bei ner dummen Aktion ordentlich die Hand verbrutzelt, so dass wir erst Donnerstagmorgen die lange Anreise antraten.

Den angestauten Bewegungsdrang nutzten wir nach Ankunft auf den fußballfeldgroßen und ebenso plattplanierten Auronzo-Parkflächen am späten Nachmittag aus, für eine Inspektionsrunde um die Zinnen.

Von der Südseite betrachtet sehen die Zinnen aus, wie jede x-beliebige Dolomiten-Berggestalt. Man kann nicht einmal erkennen, dass es drei Türme sind. Umso spektakulärer ist dann der Moment, wenn man bei der Umrundung plötzlich in die wilde Nordseite blickt. Senkrecht bis Überhängend ragen dort schwarz-gelbe, horizontal gebänderte Riesenwände 500m in den Himmel. Und sie werden höher und steiler, je näher man ihnen kommt.

Nach dem ersten Staunen versuchen wir feuchte Wandbereiche auszumachen. Wasserfälle, nass-glänzenden Fels, aber nix zu sehen – schaut alles so dermaßen trocken aus, dass wir es fast nicht glauben wollen. Nur der böige Wind machte uns ein wenig Sorgen.

Tobis Idee: Warmklettern an der gelben Kante (Kleine Zinne) überspringen und gleich in die Nordwand. Die ersten 2SL zum „Eingewöhnen“ bevor es ernst wird reichen ja aus in der Comici. Ah ja?!

Die Comici:

  • Erste Hälfte da wo gelb = überhängend, da wo schwarz = senkrecht und klettertechnisch durchaus anspruchsvoll, leider etwas speckiger, dafür fester Fels.
  • Zweite Hälfte alpin in jeglicher Hinsicht: Klettertechnische Schwierigkeiten werden kompensiert durch objektive Gefahren. Teilweise nasse Verschneidungen, hier und da etwas Bruch, Orientierungsherausforderungen, usw.
  • Dazu ein Ausschnitt aus bergsteigen.com: „Unten viel z.T. schlechtes Material, oben wenig, aber dafür noch schlechteres Material. Blindes Vertrauen auf die vorhandene Chiodatur (Chiodi = Haken) zeugt von geringem Sachverstand. Oberer max. senkrechter Teil, …der durchaus Orientierungssinn und v. a. Eigeninitiative bei der Absicherung erfordert.“

Also los. Wecker stand auf 6 Uhr. Wach waren wir schon um 5, nachdem es nachts eine halbe Stunde geregnet hatte. Davon war aber morgens nichts mehr zu sehen. Schnell waren Kaffee und Müsli reingezwungen, so dass wir bereits um 7:15 Uhr am Einstiegssockel, unter der Wand, angelegt hatten. Auf dem Weg dahin sind uns ein paar Wanderer und Anwärter für die Dibonakante begegnet und 3-4 SL über uns war tatsächlich eine Seilschaft in der Comici zugange. Für Zinnen-Verhältnisse quasi nix los. Keine Bremsen vor uns, keine Stresser hinter uns. Kein Nummernziehen. Der Wind war kaum spürbar und die Temperaturen nicht zu kalt. Es ist angerichtet!

Die Spannung steigt. Seilfrei flitzen wir die ersten 110m (max. IV) hoch auf das Band vor der Crux-Seillänge. Wir legen an, denn jetzt geht’s gleich zur Sache.

VIIer-Querung nach links in eiskaltem, senkrecht-abwärtsgeschichtetem Fels, bei dem die einzigen Trittmöglichkeiten ordentlich abgeschmiert sind. Tobi juckt das alles reichlich wenig, zwar frieren die Finger halb ab, aber der Rest klebt eidechsenartig am Gestein und bewegt sich geschmeidig Richtung Standplatz.

Bei mir ganz anders: ich komm erst gut rein, Mittel+Ringfinger frieren an der Crux in einem Löchlegriff ein (immerhin nicht die verbrutzelte Hand) und dann rutscht mir mein vom Montblanc-Granit rundgeschliffener Mythos-Schlappen plötzlich beim Trittwechsel ab. Ciao. Der Lohn: der kleine Nordwand-Segelschein für Nachsteiger. Auch toll. Der Nachweis, dass die Standplatzschlaghaken durchaus solide sind, wäre hiermit erbracht. Leider auch der Beweis, dass bequeme Bollerschlappen in dem Gelände nix taugen ebenfalls.

Damit der Sicherer nicht zu lange sichern und der Kletterer nicht zu lange hart klettern muss, beschließen wir uns nicht überschlagend, sondern im Ziehharmonika-Style vorerst weiter zu bewegen.

Seillänge um Seillänge schrauben wir uns durch den steilen Wandteil und sind überrascht, wie schön die Kletterei ist und wieviel, zum Teil auch erbärmliches Material in der Route steckt. Tobi onsightet alles souverän weg, mir rutscht noch ein weiteres Mal in der zweiten VIIer-Länge der Schlappen vom Speck, aber wir kommen flott voran.

In der Zwischenzeit rücken zwei weitere Seilschaften von unten nach. Wir sollten diese aber in der Folge nicht mehr sehen und schließen sogar zur Seilschaft mit der Poleposition beinahe auf. Haben also keine Minute Wartezeit – was vermutlich bei den Verhältnissen sehr, sehr selten vorkommt.

Bis zum Italienerbiwak (=Ende der Hauptschwierigkeiten) größtenteils richtig begeisternde, steile Kraxelei und überwiegend super bequeme Standplätze auf schmalen Absätzen.

Was die Topos betrifft: die Bewertungen im Ivo-Rabanser Best-of-Führer (klasse Topo!) sind im Vergleich zu denen auf bergsteigen.com zutreffender.

Ab Seillänge 10 (Italienerbiwak) ändert die Comici ihr Gesicht: Die Wand lehnt sich deutlich nach hinten. Der weitere Verlauf ist von hier aus ziemlich offensichtlich – immer den Schwachstellen nach, entlang von Rampen und Verschneidungen, bis unter das markante Dach mit der luftigen Linksquerung. Normalerweise erwartet den Kletterer bis dorthin die ein oder andere Dusche oder zumindest nasse Passagen. Heute ist davon, bis auf ein paar Tropfen in der Höhle, nichts zu sehen.

In der Höhle muss der Standplatz etwas umständlich ausgebaut werden und der Weiterweg ist auf den ersten Blick nicht gleich ersichtlich. Besser 5m ausgesetzt weiter oben, am Beginn der Querung Standplatz an guten NH beziehen. Danach nicht von den zahlreichen Verhauerhaken und Schlingen oberhalb in die Irre führen lassen. Am besten orientiert man sich an den waagerecht nach links leitenden Schlaghaken. Man balanciert nun genau oberhalb des Daches, sehr ausgesetzt (max. V+) an gutem Fels 27m nach links ums Eck. Wieder schlägt das Alpinistenherz höher. Diese Linienführung – durch eine solche Wand den, nicht immer auf Anhieb ersichtlich, einfachsten Weg findend – eine absolute Meisterleistung der Erstbegeher!!

Bis auf den Quergang haben wir in dieser zweiten Hälfte alle anderen Seillängen jeweils gedoppelt, so dass wir nach exakt 6h das Ringband erreichen. Total geflasht und glücklich!

Teilweise kriechend wurschteln wir uns vorsichtig entlang des Bandes auf die Sonnenseite der Zinne. Noch so ein magischer Moment, wenn man auf dem nun wanderwegartigen Pfad ums Eck kommt und plötzlich als Nordwand-Drakula von den Sonnenstrahlen gefressen wird.

Den Gipfel lassen wir uns natürlich nicht entgehen. An perfekten Biwakplätzen vorbei zum Normalweg schnuppern wir um 14 Uhr 3000er Luft auf der Großen Zinne.

Im Abstieg überholen wir abkletternd ein paar Normalweggänger, seilen am Innerkoflerkamin 50m ab und lassen uns von Steinhaufen zu einer Abseilpiste abseits des Normalwegs, in der westlichen Südwand leiten, was ganz gut funktioniert.

Auf dem Rundwanderweg angekommen schiele ich rüber zur gelben Kante der Kleinen Zinne – unserem Ziel für den nächsten Tag – oder doch nicht? Tobi hatte wieder andere Pläne 😉

Steckbrief Große Zinne, Comici-Dimai:

  • Schwierigkeit: VII (mehrere Stellen), VI obl.
  • Absicherung: alpin! Im unteren Teil meist 2-3 gute NH als Standplatz + generell viele NH unterschiedlichster Qualität. Im oberen Teil muss mehr improvisiert werden
  • Schlosserei: Cams 0,3-1 schluckt der Fels gut und gern
  • Hoch / runter: 500m Kletterei auf 17 SL + Rest via Normalweg auf Gipfel

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