Touren in Italien

Ortler (3905m), Hintergrat

14.08.2021 – 15.08.2021

Himmelsleiter auf den König der Ostalpen

Aus mehrerlei Hinsicht war diese Tour eine Besondere:

Zum einen lag das am Berg selbst: Im 1. Weltkrieg an der Alpenfront hart umkämpft („wer die Gipfel einnimmt, dem gehören die Täler“), hat sich der einst höchste Gipfel der K&K-Monarchie über die Jahre zum alpinistischen Magneten entwickelt – mit Paradetouren wie der Ortler Nordwand oder dem Hintergrat. Nicht einmal der Normalweg ist ein einfacher – zu gewaltig sind die Dimensionen an diesem Berg.

Zum anderen waren mit Basti und Marius zwei Hochtouren-Neulinge mit an Bord, für die es bei dieser Himmelsleiter in Sachen konditionellem und technischem Anspruch auch gleich bei der Premiere ans Eingemachte ging. Entsprechend groß war die vorfreudige Spannung, als wir uns am Parkplatz der Langenstein-Talstation in Sulden treffen.

Sommer am Reschensee. Über allem thront der Ortler mit seiner vergletscherten Nordwestflanke (Normalweg)
Ortler Nordwand-Eisrinne (obere Bildmitte). Oberer Hintergrat mit seinen drei Firnfeldern links im Profil
Hintergrat – Details im Telezoom. Rechts: die Eisrinne der Nordwand

Kurz nochmal das Material grob gecheckt und gleich mal die ersten 500 Höhenmeter mit der Kreditkarte bezahlt. Wird ja eh noch anstrengend genug am morgigen Tag 😉

Über die bizarre Gletscherschutt-Mondlandschaft geht es in gemütlichen 2h rüber zur gut besuchten Hintergrathütte. Wenn dann zum Abendessen der ganze Raum voller Bergsteiger hockt, bekommt man eine leise Vorahnung wie es da am nächsten Tag am Grat zugehen wird. Oft liest man von hässlichen Staus, vor allem an der Schlüsselstelle und Steinschlag im Gratzustieg. Mit letzterem sollten wir unsere eigene Erfahrung sammeln.

Im Winter eine Piste…
…im Sommer ein Fluss aus Schutt
Noch hatter gut Lachen…
Pure Luxury
Dreigestirn, von links nach rechts: Königspitze, Monte Zebru, Ortler mit Hintergratausläufer
Eisfall zw. Monte Zebru und Königspitze
Königspitze Nordwand

Weil wir auf Stress und Hektik überhaupt kein Bock haben, versuchen wir auch gar nicht erst einen neunmal klugen Plan auszuhecken, um der Rush-Hour zu entkommen. Stattdessen trinken wir ein paar Bier und stellen uns den Wecker so, dass wir nicht die ganze Tour im Stockfinstern gehen müssen, nur um den Grat für uns allein zu haben. Ausschlafen is hier aber trotzdem nicht, weil das hektische Gewusel und das Rennen um die ersten Plätze bei den Anderen dann ja doch viel zu früh los geht. Einige verzichten sogar aufs Frühstück um 3:30 Uhr. Wir haun uns den Magen voll, legen entspannt die Ausrüstung an, Basti präsentiert dann noch stolz sein Klettersteigset (wtf?) und Abmarsch…als vorletzte Seilschaft.

Die ersten Glühwürmchen der Lichterkette vor uns am Berg haben wir am immer steiler werdenden Anstieg in der Flanke links des Grates bereits eingeholt. Wir sind auf 3000m, es ist 5 Uhr morgens und erstaunlicherweise so warm, dass man sich am liebsten alle Klamotten vom Leib reißen möchte. Für den normalerweise zusammengefrorenen Schutthaufen, den wir hochklettern nicht so geil.

Wir überholen noch 2-3 Seilschaften bevor das Gelände steiler wird. An einer ersten Felsstufe lassen wir uns von Spuren nach links in vermeintlich einfacheres Gelände leiten und stehen bald in einem Schutthang der bei den Temperaturen prompt anfängt zu kalben, wie ein Kieslaster bei geöffneter Heckklappe. Marius fliegt auch gleich ein größerer Stein ans Schienbein. Unter uns gibt’s die ersten lautstarken Beschwerden. Basti kann gerade noch einen schuhkartongroßen Block vom Abrutschen bewahren. Mit Samtpfoten queren wir in heiklem Gelände wieder nach rechts rüber zum eigentlichen Weg. Zur Sicherheit sogar ein kurzes Stück am Seil. Kostet uns zwar einiges an Zeit, aber gleich bei der ersten Hochtour abstürzen ist ja irgendwie auch blöd.

Durch teilweise übelsten Bröselfels schlängelt sich der, im Dunkeln nicht immer leicht zu findende, Zustiegsweg satte 800 Höhenmeter durch die Flanke. Oft sind mehrere Optionen begehbar in teilweise leichter Kletterei. Umso schöner ist dann der Moment, wenn man zum Sonnenaufgang den Grat erreicht. Die anderen Seilschaften sind zu dem Zeitpunkt schon vorne weggerannt und werden sich, wie wir später erfahren, noch alle an der Schlüsselstelle und danach ineinander verknoten. So kommt es, dass wir nun tatsächlich bis zum Gipfel, mit ein paar netten Ausnahmen, den gesamten Hintergrat in Ruhe genießen können 😊. Kommt bei dem Wahnsinnswetter und den perfekten Verhältnissen wohl auch nicht alle Tage vor.

Irgendwo im oberen Teil der Zustiegsflanke
Schutt soweit das Auge reicht
Gut gelaunt im Schotterlabyrinth…trotz Steinhagel
Abwechslungsreiche, leichte Kraxelei im oberen Flankenteil
Der Fels ist hier allerdings mit absoluter Vorsicht zu genießen
Eine letzte Querung zum Grat rüber
Der Grat ist erreicht. Man sieht zum ersten Mal auf der ggü. liegenden Seite runter nach Sulden.
Here comes the sun
Morgenstimmung am Ortler
Da geht’s lang! Gipfel in Sicht. Marius kann den Schnaps schon riechen. Nun beginnt die Tour erst so richtig.
Auf dem ersten Firnfeld
Am Ende des Firnfeldes gehn wir ans laufende Seil
Kann es einen schöneren Ort geben um zu Pissen?
Blick zurück über das Firnfeld

Den Signalkopf umgeht man linker Hand. Sieht von der Aufstiegsseite total unspektakulär aus. Aber ist man erst einmal dran vorbeigeklettert, verschlägts einem beim Blick zurück schier die Sprache – so atemberaubend steht diese Nadel auf dem ohnehin schon ausgesetzten Gratabschnitt.

In der Linksquerung unterhalb des Signalkopfes. Erst wird abgeklettert…
…dann gequert
Und da steht sie dann plötzlich…die schlanke Nadel vom Signalkopf
Die gleiche Szene vom Signalkopf aus, von Basti rüber zu mir und der Schlüsselstelle fotografiert

Direkt dahinter geht das Spektakel aber weiter: Die Schlüsselstelle. Eine abdrängende, trittarme, aber kurze Passage im IV-Grad. Fühlte sich frei geklettert mit Bergschuhen wegen der abgespeckten Tritte schwerer an. Abhilfe schafft bei Bedarf eine Kette mit Bohrhaken. Der Seilschaftsknoten aller vorausgeeilten Bergsteiger hat sich rechtzeitig vor unserem Eintreffen gelöst – einige davon sieht man unten im Bild bereits auf dem 2. Firnfeld. Nur eine Seilschaft bestehend aus zwei sympathischen Allgäuern ist noch kurz beschäftigt. Sie waren als letzte Seilschaft nach uns von der Hütte gestartet und gingen genau unser Tempo – so dass wir ab diesem Moment bis zur Payerhütte runter immer wieder miteinander zu tun hatten.

Die zwei sympathischen Allgäuer in der Schlüsselstelle
Basti mit viel Luft unter den Sohlen. Marius ist bereits oben
Beherzter Griff in die Kette

Es bleibt spannend und ordentlich ausgesetzt. Schöne, aber einfache Kletterei wechselt sich mit z.T. steilen Firnfeldern ab. Der Trittfirn ist so fest und gespurt, dass wir nicht einmal die Steigeisen anziehen müssen.

Kurz hinter dem gespaltenen Block
Auf dem etwas steileren 2. Firnfeld
Letzte Hürde nach dem 2. Firnfeld: kleine Wand mit einer IV- Stelle, oben bei der 2. Seilschaft

Finale Hürde vor dem bereits von weitem sichtbaren Gipfelkreuz ist dann eine Abschlusswand, die in einer links/rechts-Schleife (IV-) erklettert wird. Am Standplatz dahinter hats dann doch tatsächlich irgendein Vollpfosten geschafft mitten auf den Weg zu scheißen. Hoffentlich ist ihm dabei der Arsch abgefroren!

Marius und Basti unmittelbar vor der letzten kniffligen Stelle
Da hab ich noch gut lachen – kurz danach entdecke ich den Scheißhaufen
Marius mit dem Ausstiegshenkel in der rechten Hand
Die Allgäuer auf dem dritten Firnfeld knapp unterhalb vom Gipfel
Vom letzten Stück Fels der Route hat man einen tollen Blick, die gesamte Skyline des Hintergrates hinunter

Und auf einmal….nach gerade einmal 4,5h Aufstieg…sind wir…

Oben!
Partytime!!
Die Payerhütte im Abstieg. Da wartet das Bier auf uns. So nah und doch so fern
Blick nach Sulden hinunter

Nach dem Schnaps ist vor dem Bierchen – deshalb machen wir uns auch bald an den langen Abstieg via Normalweg…der eigentlich schon für sich eine ausgewachsene Tour darstellt.

Zunächst geht es gemächlich über das weitläufige Gletscherplateau. Wir geben aber ordentlich Gas, weil der Schnee bereits anfängt sulzig zu werden:

Blick zurück zum Gipfel
Oben links im Bild: die Steilkurven vom Stilfser Joch
Der Normalweg verläuft mehr oder weniger über den zackigen Felsrücken in Bildmitte

Doch schon bald stellen sich steilere, teilweise mit versteckten Spalten bespickte Abschwünge in den Weg:

Unten gibt es zwei Möglichkeiten: entweder am Bergrücken bleiben und hinter dem Biwak im felsigen Teil Abklettern+Abseilen, oder links dem Gletscher folgend absteigen. Wir wählen letzteres, wegen der guten Schneeauflage
Der Weg verläuft nun nahe der Abbruchkante auf der Suldener Seite
Vorbei an riesigen Seracs. Links sieht man wieder den Gipfel
Team Allgäu bleibt uns auf den Fersen
Marius sucht den Ötzi 2.0 und muss aufpassen, dass er nicht selbst zu einem wird
Blick in die Eisrinne der Nordwand

Die Gletschervariante links hinunter ist heute ziemlich blank und teilweise felsdurchsetzt. Bis auf einen kleinen Ausrutscher, dank der Seilsicherung aber kein Problem.

Das Ende des Gletschers

Die Steigeisen können nun wieder weg. Es beginnt der felsige Teil des Normalweges, fast durchgängig im Absturzgelände. Teilweise allerdings gut mit Ketten und Steigbügeln entschärft und trotzdem immer spannend:

Bergsteiger im Abstieg
Es muss oft im I-IIIer Gelände abgeklettert werden. An der „Schlüsselstelle“ des Normalweges gehen wir auf Nummer sicher und Seilen ab

Selten kann man bis hierhin im Abstieg den Kopf ausschalten und einfach nur schlendern. Oftmals schlängelt sich der Weg in Gegensteigungen an größeren Hindernissen vorbei. Dementsprechend zieht sich die Etappe bis zur Payerhütte, es bleibt aber landschaftlich sehr reizvoll.

Die Payerhütte auf immer noch 3029m
Woopwoop! Fast geschafft! Kurz vor der Hütte ist der Bierdurscht kaum noch zu ertragen
Auf die nächste Tour! 🙂

Nach Pasta und Bier zünden wir noch einmal den Turbo, denn an der Payerhütte ist natürlich immer noch nicht Schluss. Ab hier kann man dafür die Birne ausschalten und stumpf einen Fuß vor den anderen setzen.

Alle Jahreszeiten an einem Berg
Die letzten 500 Höhenmeter spendieren wir wieder unseren Gelenken

Eine grandiose Bergfahrt, bei bestem Wetter geht zu Ende. Super starke Hochtourenpremiere von Marius und Basti, die ohne mit der Wimper zu zucken in insgesamt nur 9,5h den Berg hoch und wieder runter gerannt sind. Die brennenden Haxen haun wir in den eiskalten See neben der Talstation und genießen bei diversen Bierchen den Blick zurück zum Ortler. Immer aufs Neue irre, wenn man nach so einem beeindruckenden Abenteuer geflasht im Tal ankommt und gar nicht glauben kann, wo man da am gleichen Tag noch überall rumgeturnt ist! 🙂

Rückblick vom Tal: Hintergrat und Normalweg von links nach rechts im Profil, oben im Bild

Steckbrief Ortler, Hintergrat

  • Schwierigkeit: AD (IV eine Stelle, oftmals II-III+)
  • Absicherung: Schlüsselstelle eingebohrt, dazwischen einige NH + einzelne BH. Dazulegen geht immer
  • Hoch / runter: 1650hm (Hintergrathütte – Gipfel – Payerhütte, viele Gegenanstiege im Abstieg), 1900hm Abstieg (Gipfel bis Langensteinlift)
  • Übernachtung: Hintergrathütte (2662m)

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