26.06.2021
Lange Tage schreien nach langen Touren
Eigentlich hätte es ja einige Tage nach Chamonix gehen sollen. Durchdrehen im Montblanc-Granit. Der gewittrige Frühsommer aber hatte andere Pläne mit uns. Es musste eine adäquate Alternative in den Ostalpen her. Auf das raue Urgestein und den Westalpencharakter wollten wir nicht verzichten.
Da schoss mir gleich die Fußsteinkante durch den Kopf: Langer Zustieg, Gletscheranteil, 500m feinste Kletterei auf einen attraktiven, hohen Gipfel, alpiner Abstieg und als Zugabe handelt es sich dabei auch noch um eine begehrte Pause-Extremfels-Tour.
Extrem ist die Felskletterei zwar nicht wirklich – der Gesamtanspruch mit all seinen alpinen Facetten aber durchaus gehoben – das sei vorweggegriffen!
Damit die Beine auch ja brennen am Ende des Tages und weil wir nicht Freitagsnachts nach der Anreise noch ins Matratzenlager der Geraerhütte reinplatzen wollten, machten wir die ganze Tour auch noch an einem Tag von Auto zu Auto.
Abmarsch 4:15 Uhr nach einer kurzen (bei mir) bzw. sehr kurzen (Tibi) Nacht.
Der Vorteil bei 1600 Höhenmetern Zustieg: man hat ganz lange Zeit um wach zu werden. In unserem Fall ziemlich genau 4,5h vom Parkplatz bis zum Beginn der Kletterei: den Fahrweg hoch zur Materialseilbahn (leider ohne Bikes), durch den märchenhaften Urwald, immer wieder die langgestreckten Serpentinen abkürzend an der Geraerhütte vorbei. Dem Olperer-Normalweg folgend über den Moränenrücken hoch zum Gletscherrand. Dort machten sich bereits Seilschaften bereit für die Olperer-Überschreitung.
Die Temperaturen waren an diesem Samstag nahezu perfekt. Es war gerade kalt genug um in bestem Trittfirn Gletscher & Randkluft zu überwinden, aber nicht so kalt, dass Finger & Füße zu arg frieren mussten. Vom Regen am Vortag blieben einige vereiste Felspassagen, die aber keine großen Probleme bereiteten. Der Altschnee auf den Bändern konnte umklettert werden.
Das Beste war, dass wir die ganze Wand für uns alleine hatten. Vielleicht lags an der Wetterprognose (nachmittags gewittrig) oder an den stellenweise winterlichen Verhältnissen. Uns wars egal – wir freuten uns über das Privileg an diesem Tag keinem einzigen fliegenden Stein ausweichen zu müssen.
Der Übergang Gletscher zum Felsband rüber war dank des vielen Altschnees ein Klacks und auch das Aufstöbern des Einstiegs (2 Bohrhaken) sollte informierten, erfahrenen Bergsteigern keine Probleme bereiten. Ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel wie man sich da verkoffern kann. Evtl. irritiert es manche Aspiranten, dass man dem Band ca. 90m absteigend folgen muss, bis die Wand linkerhand sich markant, kurz leicht überhängend aufsteilt. Direkt dahinter blitzen die Bohrhaken (s. Bild) und die Route folgt einer offensichtlichen Schuppenlinie.
Anspruchsvoller wird die Wegfindung danach allerdings schon. Jede Seillänge einzeln beschreiben macht m.M.n. wenig Sinn. In einigen Längen sind mehrere Linien möglich und auch teilweise mit Material bespickt. Ein wahres Massengrab an mobilen Sicherungsmitteln und Schlaghaken aller Art. Also nicht wundern wenn ihr mal nicht an den sanierten Idealstandplätzen lt. Topo vorbeikommt. A propos Topos: Grundsätzlich reicht es diese als Orientierungshilfe zu benutzen. Nicht zu verbissen nach Plan klettern wollen, sondern eher dem Instinkt und den Schwachstellen der Wand folgen – dann flutschts!
Wir haben insgesamt 3mal an alten Alternativständen Stopps eingelegt. An 2 soliden Schlaghaken und an einem recht frischen (Rückzugs?-) Kraken-Standplatz bestehend aus geopfertem 2er-Friend, Klemmkeil und Schlaghaken. Wenn ihr den seht seid ihr etwas zu weit links. Hauptsache die Richtung stimmt grob. Trotzdem ist die Freude natürlich immer groß bei der vertikalen Schnitzeljagd auf einen modernen Standplatz (2 BH) zu stoßen! 😉 Auch darf man sich nicht davon irritieren lassen, dass die Fußsteinkante aber mal so wirklich garnix von einer Kante hat, sondern reine Wandkletterei darstellt. Kein Vergleich bspw. zum Grundschartner.
Die Querung nach rechts zur markanten Rampe in Wandmitte (SL4+5) kürz ich ab. Stand an BH links der Rampe.
Der Stand auf dem großen Band danach lag wohl unterm Schnee, aber die Länge sind wir dann eh am laufenden Seil hoch. Die Wand ist bis hierher häufiger von Bändern durchzogen – daher auch die permanente Steinschlaggefahr. Schon irre wieviel Zeugs sich da in so einer, eigentlich steilen, Wand ansammeln kann. Leider leidet auch die Homogenität der Route darunter ein wenig. Ab ca. SL7 wird es dann aber steiler und geiler, der Ausblick zum Gletscher und rüber zum Olperer ist einfach nur phantastisch!
Nach der letzten steilen Länge packen wir das Seil weg und flitzen im IIer-Gelände dem Gipfelkreuz entgegen.
Das Wetter hält (noch), der Zirbenschnaps schmeckt wie immer bombe und stimmt ein auf den Abstieg. Dieser wird in den allermeisten Berichten folgendermaßen beschrieben: nie enden wollend, massiv dem Steinschlag ausgesetzt, ewig lang, ekelhaft, zäher als Kaugummi, gefährlich, gnadenlos lang.
Unser Fazit danach: ey Leude…gibt Schlimmeres! Top markiert, gut angelegt und da wo es evtl. unangenehm steil werden könnte gibt’s sogar 1A-Abseilstellen. Aber ja – bissl auf loses Material Acht geben – Abstieg nach Elefant-im-Porzellanladen-Style wird gefährlich. Und jaaaa – das Ding zieht sich wie weichgekauter Hubbabubba. 2,5h in dem Gelände bei voller Konzentration sind eben doch anstrengend. Dafür konnten wir ab dem Wandfuß locker 200 Höhenmeter im Altschnee runter surfen.
Ich hab dann unten gleich mal den Gletscherbach leer gesoffen, während Tibi noch nen neuen Hand-Kopf-Klemmer-Boulder A0 mit Grabstein eröffnet hat.
Kurz drauf hocken wir in der Geraerhütte. Dort Vorsicht – der Kellner hat eine dramaturgisch interessante Art zu Servieren. Erst hält er dir 3 Sekunden das Futter unter die Nase als wolle er es dir reichen, nur um dann drauf zu bestehen es selbst abzustellen. Nach dem guten Essen und dem noch besseren Bier auf der urigen Hütte kostete es uns am Ende dann doch etwas Überwindung im mittlerweile Scheißwetter (Gewitter + Sturm oben) noch 1000hm ins Tal abzusteigen. Aber die Aussicht auf eine private Schlafkoje in Caddy und Multivan, anstelle des gut gefüllten Matratzenlagers, waren schlussendlich Argument genug.
Steckbrief Fußstein, Nordkante:
- Schwierigkeit: V- (stellenweise), meist III-IV
- Absicherung: Stände gebohrt, dazwischen einige NH + Opfer-Klemmgeräte
- Hoch / runter: 1600hm Zustieg, ca. 500m Kletterei (ab/bis Tal)
- Übernachtung: Geraerhütte, 2324m (bei Bedarf)