Touren in Österreich

Großer Widderstein (2533m), Hiltimanie

29.11.2020

Sommer in der Südwestwand – Winter drumherum

Selten war die Aussicht auf eine erfolgreiche Klettertour schlechter und die Vorfreude dementsprechend gedämpfter als an diesem frühen Morgen. Laut Wetterbericht würde es kalt werden und geschneit hatte es, wie üblich zu dieser Jahreszeit, auch schon. Aber was macht man aktuell nicht alles, um den eigenen vier Wänden zu entfliehen?!

Angekommen am Wanderparkplatz in Baad änderte sich an dieser Grundstimmung vorerst mal nichts.

Minus sieben Grad im zugeschneiten Tal. Und da jetzt Mehrseillängen klettern hoch oben? Is klar?! Aber wurscht – im schlimmsten Fall wird’s eine Winterwanderung mit viel Gepäck.

Vor zwei Wochen, im Abstieg nach dem Widderstein-Ostgrat, sah es hier noch ganz anders aus. Da standen wir im T-Shirt oben am Hochalppass und bestaunten die dolomitähnlichen Ausmaße des mächtigen Südwestbollwerks.

Gemütlich stapfen wir plaudernd um den Riesenklotz namens Widderstein herum von Nord nach Südwest. Und siehe da – hat man die Nebeldecke erst durchbrochen, schaut die sonnenbeschienene Welt gleich ganz anders aus – ja fast schon einladend trocken.

Zustieg in gelb. Hiltimanie in rot

Auf Betriebstemperatur ist man nach den 1000 Höhenmetern Zustieg definitiv auch. Wir wurschteln uns die linke Schuttrinne hinauf zum großen Band – dem Startpunkt der vielen interessanten Klettertouren in der SW-Wand.

Am Ende der Schuttrinne

Gleich am ersten Stück Fels der Temperaturcheck: Und tatsächlich – das könnte heute klappen!

In die falsche Route verirren wird einem durch das angebrachte, knallrote Namensschild arg erschwert:

A propos Name: Die Anlehnung an den Bohrmaschinenhersteller kommt nicht von ungefähr. So ist die Route zwar nicht übermäßig, aber immer an den entscheidenden Stellen, vor allem vor und nach den kleinen Dächern, perfekt mit Haken präpariert.

Tourenkurzbeschreibung im Allgäuer Kletterführer: „Steile, ausgesetzte und abwechslungsreiche Kletterei mit etlichen Überhängen und Dächlein.“

1.SL (V+): Genussvoller (Garnichtmalso-) Kalt-Start. Erst griffige, seichte Verschneidung, dann gutmütige Wand.

2.SL (VI-): Steiler werdende Wand mit unangenehm abdrängenden Bauch in SL-Mitte. Nach unserem Empfinden für uns schwieriger zu klettern als die eigentliche Crux in der folgenden Seillänge, aufgrund der eher kleinen Ausstiegsgriffe über dem Minidach. Dafür so wie in allen steilen Metern – wunderbarer Dolomitfels und gute Absicherung.

3.SL (VI+): Es bleibt steil. Krönung ist das abschreckende, bereits im Zustieg erkennbare Dach – die Schlüsselstelle. Bequem lässt sich darunter Stellung beziehen. Mit langen Armen erreicht man sogar den oberhalb des Riegels befindlichen Bohrhaken. Überraschend direkt und einfach überwindet man das Hindernis in Bouldermanier. Henkel überm Dach anpacken, linkes Bein fährt hookend raus, linke Hand schnappt sich den nächsten Seitgriff, rechte Hand geht in Stützposition und schon hat man sich drüber geschoben. Tolle Kletterstelle! Am Ende der Seillänge wartet bereits das Wandbuch und die zunehmende Gewissheit: wir werden da heute allen Widrigkeiten zum Trotz oben aussteigen und nen Schnaps saufen!

Lagecheck unter dem Crux-Dach
…und drüber übers Dach
Wie steil die SL tatsächlich ist sieht man hier ganz gut…kein Blickkontakt zum Seilpartner

4.SL (IV+): Nun wird es etwas unübersichtlicher. Vom Stand nach rechts in die markante Verschneidung. Rechts davon hoch und linksquerend (für den Grad recht anstrengend) raus. Kurzer Schreckmoment, als Robert im Nachstieg den bis hierhin einzigen losen Griff, inkl. sich selbst und ordentlichem Pendler, der Schwerkraft opfert.

5.SL (V+): Steilstufen und Bänder wechseln sich ab. Den Stand hab ich irgendwie nicht finden können, aber problemlos improvisiert

6.SL (V+): Ab hier rücken die benachbarten Routen sich auf die Pelle. Daher bin ich mir gar nicht zu 100% sicher, ob wir da noch in der Hilti waren. Die letzte Steilstufe ist nochmal schön zu klettern. Oben raus leicht überhängend, an Riesenhenkeln durch die Schwachstelle im Dächlein.

Am Wandbuch des Anderl-Heckmair-Gedächtnisweges packen wir die Seile weg. Die Sonne steht schon tief. Das Tal noch immer in dickem Nebel gehüllt. Magischer Sonnenuntergang. Robert überredet mich die Gegensteigung zum Gipfelkreuz in Angriff zu nehmen – beste Entscheidung! Zur Belohnung gibt’s das Schnäpschen und das hier:

Kurzzusammenfassung:

  • Ab Baad durchaus langer Zustieg (1100hm)
  • Allgäuuntypischer Megafels
  • Erst oben raus durch unterbrechende Bänder etwas inhomogen, aber ansonsten tolle Linie durch eine beeindruckende, dolomitesque Wand
  • Gute, nicht übertriebene Absicherung
  • Schwierigkeit mit max. VI+ absolut zutreffend, nicht unter- und auch nicht überbewertet
  • Super bequeme Standplätze mit phantastischem Ausblick
  • Entspannter Abstieg via Normalweg. Vom Abseilen über die Route würde ich abraten. Ab SL3 ist das Gelände zu oft unterbrochen, das Risiko von Seilverhängern und Steinschlag zu hoch
  • Prädikat: Allgäuperle. In Kombination mit den SL1-5 der Route „Anderl-Heckmair-Gedächtnisweg“ sicher umso interessanter – dann nämlich 13 Seillängen! Dafür hätte uns leider das Tageslicht gefehlt

Steckbrief Großer Widderstein, Hiltimanie:

  • Schwierigkeit: VI+ (V+, A0)
  • Absicherung: Stände gebohrt. Dazwischen viele BH, insbes. im anspruchsvolleren Gelände
  • Hoch /runter: 1100hm Zustieg, ca. 210m Kletterei, insgesamt 1300hm

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