07.11.2020
Das Matterhorn des Allgäus
Sechs Jahre nachdem ich zusammen mit Thomas auf den komplett zugeschneiten Platten der ersten Seillänge ohne Eisgeräte unverrichteter Dinge den Rückzug antreten musste, sollte heute alles anders laufen.
Gleiche Jahreszeit – nur dieses Mal perfektes Herbstwetter statt Mordor-Stimmung, festgefrorener Boden statt Matschwiese, feinster Trittfirn anstelle von haltlosem Neuschnee, so dass die Fortbewegungsmethode „Wühlmaus“ im Zustieg durch lässiges Treppensteigen ersetzt wurde. Und warm wars irgendwie auch oben in der Sonne – wieder so ein Tag, an dem man selbst mit Zwiebeltechnik maximal für die nächsten 15 Minuten richtig angezogen ist – dafür aber spät im Jahr mit einem süßen Minisonnenbrand beschenkt wird.
Richtiges Picknickwetter also – was den ein oder anderen dazu hinreißen ließ, den kompletten Inhalt von Kühlschrank + Vorratskammer in den Kletterrucksack zu packen.
So kam es, dass Robert und ich an diesem wundervollen Tag um 5:30 Uhr in Stuttgart aufbrachen, Spätaufsteher Tibi am Parkplatz der Fellhornbahn einsammelten und 8:15 Uhr den langen Weg durchs Tal des Halteverbots antraten. Auf den folgenden ca. 9km und 1400 Höhenmetern bis zum Wandfuß wanderte so manches Kleidungsstück in den Rucksack und dafür der essbare Ballast in den Magen.
Robert hatte zwecks Extratraining gleich so viel Ballast mitgenommen, dass es auch locker für 2-3 Biwaks in der Wand gereicht hätte. Zu außerplanmäßigen Übernachtungen sollte es aber nicht kommen. Ganz im Gegenteil.
Nach dem Zustiegsaufwärmprogramm standen wir unterhalb der Startplatte im Firn, schauten uns kurz an und beschlossen weder Seil noch Steigeisen auszupacken.
Grundsätzlich gilt: wird es schwerer als UIAA II-III ist man falsch.
Im mittleren Firnfeld musste beim Stufentreten etwas energischer zu Werke gegangen werden, aber kurz darauf war auch schon der Nordost-Grat erreicht. Ein besonders schöner Moment. Um einen herum pfeifts ordentlich abwärts, doch der apere Fels ist angenehm solide, die freie Kletterei bis max. UIAA III+ ein wahrer Hochgenuss.
Viel zu schnell steht man im schneegefüllten Blodigkessel und kurz darauf wundert sich Robert darüber, bereits das Gipfelkreuz vor der Nase zu haben. Fünf Stunden sind bis hier hin vergangen.
Am erstaunlich geräumigen Gipfel optimieren wir für eine halbe Stunde weiter das Rucksackgewicht und können uns kaum satt sehen an der herrlichen, herbstlich bunten, vorwinterlichen Landschaft um uns herum.
Die Aussicht auf ein frisches Helles an der Aral-Tankstelle mit was Anständigem zwischen den Kauleisten treibt uns dann allerdings weiter. Abstieg via Nordwest-Grat. Vom Gipfel zunächst über Gehgelände, bald linkshaltend (Steinmännchen) eine Rampe hinunterkletternd.
Das Rampensystem bricht am Ende steil in Richtung Westwand ab, so dass man den einfachsten Weg nach rechts zurück auf den Grat wählt.
Dort angekommen sollte auch ein blinder mit Krückstock den an der logischsten Stelle angebrachten Muni-Abseilring entdecken. Damit wir Seil und Gurt nicht völlig umsonst mitgeschleppt haben, seilten wir gut 50m durch die linke Rinne ab.
Kurz dahinter taucht linkerhand ein recht neuer Doppelbohrhaken-Stand auf – vermutlich der Ausstieg einer der interessanten Westwand-Führen (#project). Unschwer klettert man über Platten und Verblockungen weiter abwärts bis zu einem Türmchen mit Mini-Kreuz. Dort befindet sich ein weiterer Abseilring, den wir aber links liegen lassen und problemlos über das schneegefüllte Couloir zurück zum Nordkessel der Trettachspitze gelangen. Überschreitung beendet. Die Herde Steinböcke hat sich in der Zwischenzeit keinen Meter vom Bergrücken oberhalb des Kessels wegbewegt und schaut uns hinterher, als wir über den Wanderweg entlang des Grasrückens zu unserem Depot zurück schlendern.
Nochmal der Blick zurück zu einem der schönsten Berge des Allgäus:
Roberts Nahrungsmittelvorrat wird eingesammelt, Tibis Teleskopstöcke aber haben wohl den Besitzer gewechselt. Mehr rutschend als gehend sind wir flott wieder die angetauten Grashänge zur Einödsalm runtergeschlittert.
Von Österreich schwappt kurz LTE-Empfang rüber zu uns, gerade lang genug, um drei feurige Pizzen in Oberstdorf vor zu bestellen 😉
Absoluter Geheimtipp für Freunde brennender Mundhöhlen und anschließendem Sekundär-Backfire: „Memo’s Ess-Bar, Döner and Pizza“. Mit ordentlich Schaaaaf bestellen und dir brennt garantiert die Poperze. Den Höllenbrand kann man dann direkt im Getränkemarkt nebenan löschen.
So geht ein perfekter Herbsttag langsam dem Ende entgegen und der Blick schweift schon wieder über die nächsten Ziele im Allgäu-Führer.
Prost Freunde – schee wars!!
Steckbrief Trettachspitze, Überschreitung NE-NW-Grat:
- Schwierigkeit: III+ (eine Stelle), Rest überwiegend II
- Absicherung: Auf dem NE-Grat ein solider, gebohrter Stand und ein guter Schlaghaken (sonst nix gesehen). Im Abstieg insgesamt drei Abseilstände (s. Text oben)
- Hoch / runter: 1400hm Zustieg, 300hm Kletterei, insgesamt 1700hm