Touren in Italien

Heiligkreuzkofel (2907m), Mittelpfeiler (Messner)

16.06.2023

Die Messner in der Marmolada war noch im nassen Wintermantel, also auf zum heiligen Kofel. Dort hat der große Reinhold 1968 in Bollerschuhen und fragwürdiger Ausrüstung zusammen mit seinem Bruder nicht nur den ersten Weg durch den abweisenden Mittelpfeiler gelegt, sondern dabei gleichzeitig auf vier sagenumwobenen Metern Klettergeschichte geschrieben, indem er die Schwierigkeitsskala um 1-2 Grade aufgesprengt hat. Das wollten wir uns unbedingt aus der Nähe anschauen.

Ein guter Parkplatz mit akzeptablen Restzustiegsmetern ohne Sesselliftbescheißerle liegt an der Siedlung Castalta auf 1680m (Parkplatz Rifugio Santa Croce).

Von dort laufen wir morgens nicht allzu früh los, durch märchenhaften Wald hoch zum Hospiz und weiter über den Weg #7 unter die Schutthänge der riesigen Westwand. Die markante Mayerlverschneidung ist schon von weitem gut zu sehen. Es windet ordentlich und die Sonne will sich leider (den ganzen Tag) nicht so wirklich zeigen. Die Abzweigung am Vorbau ist gut zu erkennen. Nun geht es in leichter Kletterei (I-II) im Zickzack hinauf in die Vertikale. Immerhin kommen wir dabei etwas auf Betriebstemperatur. Bis Material und Kletterfinken unter der Verschneidung sitzen, sind die Finger allerdings wieder kalt. So geht das heute den ganzen Tag. Warm am Standplatz ankommen und kalt davon wegklettern.

Alpines Gehgelände auf dem Weg zum Einstieg. Hinten Mitte und rechts davon: Marmolada + Piz Boe.
Nein wir haben uns nicht verlaufen und stehen unter der Westlichen Zinne, auch wenn man es fast meinen könnte beim Blick ins Dach. Rechts im Bild sieht man schon Mayerls Verschneidung.

1. SL (VI-): Die erste Länge ist direkt mal ein Kaltstart der brösligen Sorte. Der Fels ist nicht ganz zuverlässig, dafür gibt es aber immerhin einen Schlaghaken auf 30m.

Bereits hinter dem etwas brüchigen Start-Überhängle. Unten: das hübsch gelegen Hospiz mit der Wallfahrtskirche.

2.SL (VI) & 3.SL (VI+): Tobi hängt die beiden Längen gekonnt aneinander, was bei der schnurgeraden Linienführung gut geht. Der Fels wird nun mit jedem Meter besser bis überragend, die Kletterei ebenfalls. Nur die Absicherung bleibt spärlich, was mit einem Gurt voller Sicherungsmittel aber kein Problem darstellt. Über eine Schuppe gelangt man in die markante Rissverschneidung, welche im oberen Teil etwas abdrängt. Stopfen, Klemmen und Spreizen erleichtert das Hochkommen.

4.SL (VI): Ein echtes Schmankerl! 30m-Rissschuppen-Kletterei vom Allerfeinsten. Selbstabzusichern mit hauptsächlich großen Cams. Piazend und Spreizend schwing ich mich von links nach rechts, immer an idealen Griffen. Als Zeichen dafür, dass es echt zapfig ist graupelt es sogar ganz kurz.

hat vielleicht vor 50 Jahren noch gehalten – ich leg lieber den Cam daneben.

5.SL (VI+): In weiterhin toller Kletterei bringt uns Tobi durch eine steile Verschneidung auf das ausgesetzte Band links raus.

Nun heißt es horizontal queren und den richtigen Einstieg in den Mittelpfeiler finden. Auf dem teilweise luftig-schalen Band liegt allerlei loses Material, daher gehen wir am gekürzten laufenden Seil und legen wo möglich Zwischensicherungen bis wir am Vorbau des Pfeilers stehen. Eigentlich nicht schwer zu finden, wenn man sich nicht verleiten lässt, zu früh einzusteigen.

Der richtige Einstieg ist mit Schlaghaken und Schlinge markiert.

1.SL (IV+): Erst gerade hoch in einer Verschneidung, dann relativ beliebig weiter. Ein paar Schlaghaken zeigen an, dass ich nicht ganz falsch bin – Obwohl sich die Kletterei nicht wirklich dem Grad entsprechend anfühlt. Der Fels ist auch nicht überall fest und bietet auch nur selten gute Placements an.

2.SL (IV+): Ähnlich geht es für Tobi recht intuitiv weiter. Oben folgt man den natürlichen Strukturen nach rechts weg – die große Querung beginnt.

3.SL (VI-): Jetzt wird es spannend und im ersten Moment etwas unübersichtlich. So, wie wenn man an einer großen Kreuzung ankommt und auf dem Navi nicht genau erkennen kann, welche der Abzweigungen die richtige ist. 10m vor mir hängt ein gruseliges Sammelsurium an Schlingen und Seilen aus 55 Jahren Bastelei. Vergammelte, abgeschnittene, nachgebesserte, ineinander verwachsene – alles dabei. Sicher auch eine vom Reinhold. Bald überblicken wir das Chaos: Horizontal rechts, vorbei an guten NH, danach etwas ansteigend zu einem NH, der vor lauter Schlingenschrott fast nicht mehr zu erkennen ist, aber einen Schnappkarabiner bereithält: der Pendelpunkt. Erst horizontal rechts, dann aber eher unten haltend und wieder nach rechts querend. Man sieht 2 Schlaghaken mit Schlinge. Die Finger finden dort in der feinen Rissspur, die quer durch die Wand zieht ein paar Mikroleisten, die Füße darunter kaum was: die Oblinger / Bailer – Variante (Pendelquergangumgehung). Gibt’s für nen VIIIer. Option 3: Oberhalb des Pendelhakens, entlang der hier nur leicht überhängenden, aber bröslig-gelb ausschauenden Wand ist eine kletterbare Linie mit Schlaghaken und weiter oben rechts auch ein Standplatz zu erkennen: die Messner-Junior-Variante (eigenständige Route ab hier). Wir entscheiden uns für Variante 1 – Messner Senior klassisch! Ich clippe einen Strang, klettere noch einen Meter ab (danach wird’s richtig garstig glatt) und lasse mich von Tobi langsam ab, diagonal nach rechts, in die hier wieder schön kletterbare Platte. Noch ein paar nette Querungsmeter und man ist am NH-Standplatz.

Tobi probiert im Nachstieg den Pendelquergang abzuklettern (VIII- ?), aber nach der Warterei mit eiskalten Fingern muss er sich ebenfalls geschlagen geben und ablassen.

Ausbinden, Rüberqueren, Einbinden und schon wartet auf Tobi auch gleich das Highlight und gleichzeitig die Schlüsselseillänge der gesamten Tour:

4.SL (Messner-Platte VIII, Mariacher-Variante VII+): Nun geht’s ans Eingemachte. Erste Erkenntnis: Man sieht von unserem Standplatz aus nicht in die Crux. Zweite Erkenntnis: kalter Nordwind + kaum Sonne = wieder kalte Flossen. Kleingriffig und strukturarm zieht Tobi souverän diagonal nach rechts ums Eck aus meinem Sichtfeld.

Im Nachhinein fanden wir diese Stelle mit am schwersten. Ich konnte diese auch nicht frei klettern (2 p.a.). Selbst genullt sind diese Meter wegen der ungünstigen Position der Schlaghaken schwer genug, bis man die Schuppe unter der Messner-Platte in der Hand hat. Erst jetzt sehe ich, dass Tobi in die Mariacher-Variante gestiegen ist und am rechten Standplatz des oberen Bandes steht. Er hat sich aufgrund der Rahmenbedingungen dafür entschieden, auf die nicht absicherbare Messner-Platte zu verzichten. Ehrfürchtig schau ich mir dieses steile, wie hinbetonierte Gemäuer kurz an beim Vorbeiklettern. Vier vertikale Meter sind es von hier bis zu dem rettenden Band. Wie in aller Welt kommt man bitte auf die Idee, mit klobigen Stiefeln, über einem (immerhin halbwegs passablen) Schlaghaken stehend, da hoch zu klettern? Dachte sich wohl auch Mariacher und querte, so wie wir, horizontal einige Meter nach rechts und fand eine kletterbare Rissspur im ansonsten strukturlosen Plattenpanzer. Passend zum ständigen Hin- und Her der genialen Linie eigentlich der logischere, weil einfachere Weg. Tatsächlich fanden wir diese Umgehung auch leichter als die vorhin beschriebenen garstigen Wandmeter davor, wenn man den richtigen Tritt erkannt hat 😉. Ich quere im Anschluss wieder zurück, zum einzigen Bohrhaken-Stand der gesamten Route, genau über der Messner-Platte.

Tobi am Standplatz genau über der Plattenstelle der Mariacher-Variante.
Alex Honnold für Arme. Genau unter mir: die Messnersche Betonplatte.
BH-Stand oberhalb der Crux. Die Reepschnur ist mit Vorsicht zu genießen.

5.SL (VI): Tobi macht weiter. Die Schuppe über uns muss erst etwas diffizil angeklettert werden, danach soll es zwei Varianten geben. Tobi schnuppert kurz links rein, entscheidet sich gegen die Seilreibung und geht geradeaus. Die Route wird in diesem Abschnitt etwas unübersichtlich. Einige steile Plattenpanzer stellen sich in den Weg und sind an ihren Schwachstellen zu überlisten. Dazwischen auch einfacheres Gelände und plötzlich ein verloren wirkender Bohrhaken im nirgendwo (?).

6.SL (VI): Es geht mit Absicherungskuriositäten gleich weiter, denn ich muss nun eine komplett eingenagelte, steile Verschneidung hoch und unter einem Überhang rechts rüber queren unter die Ausstiegsverschneidung. Hier klippt man auf ein paar Meter gefühlt fast mehr Schlaghaken, als im gesamten unteren Teil. Warum auch immer.

7.SL (VI): Nun könnte sich selbst ein Blinder nicht mehr verkoffern. Satte 45m zieht über unseren Köpfen eine steile Rissverschneidung schnurstracks geradeaus nach oben zum Ausstieg. Hier muss nochmal ordentlich zugepackt werden. Ein wunderbar zu kletterndes Faust-& Handklemmer-Feuerwerk für Tobi zum Finale, bei dem wir heilfroh sind, die passenden Risshandschuhe dabei zu haben.

Wer jetzt aber meint, direkt auf einem markanten Gipfel auszusteigen, der hat sich geschnitten. Man steht plötzlich irgendwo auf dem riesigen, schiefen Teller des Gebirgs-Plateaus. Fürs Gipfel-Feeling rennen wir aber noch hoch zum unweit gelegenen, höchsten Punkt des Heiligkreuzkofels.

Der Abstieg folgt dem teilweise drahtseilversicherten Weg #7 durchs Kreuzkofeljoch, unter den terrassenförmig abfallenden Steilwänden entlang, zurück zum Hospiz. Bier gibt’s dort leider scheinbar nur so lange, wie die Gondel Touris hochkarrt. Also durschtig durch den Märchenwald zum Auto, wo wir uns ne Halbe genehmigen, um uns danach, zur Feier eines äußerst beeindruckenden Dolomiten-Edelklassikers, die Wänste mit bestem Fleisch vollzuhauen – im Lüch Runch Hof (Topempfehlung!).

Magische Dolomiten!

Chapeau Reinhold Messner, Heinz Mariacher und Co. und alle, die diesen Knaller komplett frei begehen!

Steckbrief Heiligkreuzkofel, Mittelpfeiler (mit Mayerlverschneidung):

  • Schwierigkeit: VIII (E4-) bzw. VII A0, Mariacher-Variante: VII+
  • Absicherung: Wenige NH, einige Holzkeile, ansonsten selbst abzusichern und Stände auszubessern. BH nur am Stand über der Messner-Platte (2x) und darüber seltsamerweise irgendwo im Nirvana zw. der 5. & 6. SL
  • Schlosserei: Cams #0.3-#3, mittlere bis #2 doppelt. Im Mayerl schadet auch ein 2ter #3 nicht
  • Hoch, runter: Zustieg ab Castalta-Parkplatz ca. 600hm. Mayerlverschneidung 4-5 SL, Mittelpfeiler 7 SL, insgesamt 500m. Abstieg 1200hm

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