Touren in Österreich

Gehrenspitze (2163m), Lechtalblick

18.10.2025

Schöner kann der Herbst nicht sein.

Wenn man im nebligen Zustieg Schnee und Eis begegnet und später sonnengeküsst im T-Shirt in der Wand rumturnt auf 2000m, dann zeigt sich der Herbst von seiner Sahneseite.

Zugegeben – die Lechtalblick hat, vom Tal aus gemacht, ein ziemlich mieses Zustieg/Klettermeter-Verhältnis mit 1100 zu 200 Metern. Dass sich die Unternehmung trotzdem mehr als lohnt, dafür sorgen Felsqualität, tolle Kletterstellen – allen voran eine grandios tüftelige Schlüsselseillänge – und natürlich das phantastische Ambiente an diesem Aussichtsgipfel. Die Kirsche auf der Torte gibt’s im Anschluss auf der urigen Gehrenalpe serviert.

Als wir uns morgens aus Tibis Motel auf vier Rädern schälen, ahnen wir noch nicht wie sich der Tag entwickeln wird. Es ist nasskalt und bewölkt. Den steilen Bergpfad hinauf kommt man aber schnell auf Betriebstemperatur und reißt sich die ersten Zwiebelschichten vom Leib. Bereits an der Hütte vorbei hat sich am Wetter noch nichts geändert. Oben am Joch sehen wir Restschneefelder und gefrorenes Gras. Ich greife im vorbei gehen den Fels an – sofort friert mir fast die Hand ab. Bei den Verhältnissen harte 6er klettern? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir kommen am Gehrenjoch an und folgen dem Normalweg. Das Licht wird diffus. Über uns wabert der Nebel. Zeitweise sieht man mystisch die Umrisse umliegender Berggestalten. Plötzlich reißt die Bewölkung auf. Wir schweben im gleißenden Licht über der Wolkendecke. Um uns herum ragen nur die höchsten Gipfel aus einem weißen Meer aus Wasserdampf. Die Temperaturen schießen merklich in die Höhe. Die Stimmung auch.

Allgäu im Herbst
Gehrenalpe
Frostig kurz vorm Gehrenjoch
Die Kellenspitze befreit sich vom Nebel
Es werde Licht an der Gehrenspitze
Über den Wolken….
Der ausgesetzte Normalweg zieht hoch in die Scharte
Auf dem schrofig-steilen Weg zum Einstieg, unten etwas links der Bildmitte.

Da wo der Normalweg eine schmale Rampe zur Scharte emporzieht, biegen wir rechts ab und queren in steilem Schrofengelände absteigend unterhalb der Südwand zum offensichtlichen Einstieg direkt rechts neben einer markanten Gufel. Kann man eigentlich nicht verfehlen. Schnelles Schnickschnackschnuck um den Start…Tibi nimmt wie immer die Schere, war klar. Ich bind mich also ein, zieh die Weste aus und tu mir auf den ersten Metern (5+) erstaunlich schwer. Kein Wunder…der letzte Felskontakt ist zwei Monate her und Plastikklettern macht blind. Wo sind denn hier die Tritte und Griffe? Hält das überhaupt alles?

Etwas Schrofen am Ende von SL1 (V+) stört nicht.

Lange hats nicht gedauert bis klar war – hier hält nicht nur alles, sondern in dieser Wand ist alles so bombenfest und rau, wie Kalk (im Allgäu) nur sein kann. Okay – wir sind hier nicht im Rätikon oder auf Kalymnos – dafür mussten wir aber auch nur 2,5h anreisen. Obendrauf gibt’s eine sportklettermäßige Absicherung, bei der man fast von Exe zu Exe clippen kann. Pat Schwarzmann – typischer Plaisir.

SL2 (V)

Tibi ist in Seillänge 2 bei diesen perfekten Rahmenbedingungen schon dermaßen im Flow, dass er am folgenden Standplatz vorbei rauscht und erst wieder zu sich kommt, weil der starke Kaffee von heut morgen versucht, sich einen unsauberen Notausgang zu bohren. Das führt zu teilweise lustig anmutenden Kletterbewegungen und einer Beinahe-Explosion a la Simon E. (Insider) an Standplatz #3. Zum großen Glück aller Beteiligten (und vor allem den an diesem Tag folgenden Seilschaften) entschärft sich die Bombe von selbst. Gerade noch rechtzeitig vor der Crux.

Ich bin in der etwas schrofigen 4.SL (IV) im Vorstieg. Nach 20m stehe ich am Standplatz direkt unterhalb der Schlüsselseillänge. Ein beeindruckend kompakter Plattenpanzer, der bei genauem Hinschauen gerade so viel Struktur aufweist, dass er kletterbar erscheint. Ein 15m langes Beta-Rätsel der feinsten Art. Die Absicherung ist auch hier sehr nervenschonend. Ich verlängere die Exe am Stand und steige ein. Generell kann man alle Seillängen bis #5 und wieder ab #7 problemlos doppeln.

An kleinsten Löchern und Kanten schiebt man sich nun langsam nach oben. Geschickt muss man das Gewicht verlagern und aufpassen, dass man dabei nicht rausfliegt.

Bild zeigt SL4 (IV) und die ersten Meter von SL5 (VII-)

Der Cruxmove kommt ungefähr in der Mitte. Das linke Bein tritt hoch in eine Delle und will belastet werden. Mit 1-2 Fingern der linken Hand hat man ein scharfkantiges Miniloch, die rechte Hand stützt auf Reibung in die Struktur, während das ganze Gewicht auf dem rechten Zeh steht, der schon fast abfällt, wenn man zu lange tüftelt. Beinahe wäre es bei mir so gewesen. Die nächsten Meter sind nicht viel einfacher. Die Fußspitzen brennen schon ordentlich. Erst bei der letzten Querung zum Stand ist klar – geschafft!

Tibi kommt nach und entschlüsselt die Moves nahezu identisch. Lupenreiner T-Shirt-Team-onsight! 😊

Tibi im Cruxmove
Die letzte knifflige Stelle
Geschafft!

Steil geht es weiter. Tibi cruised linkshaltend an plattigen Strukturen mit immer wieder überraschend guten Pockets durch Seillänge 6.

Tibi startet in die tolle SL6 (VI)
Sieht nach weiten Hakenabständen aus…in Wirklichkeit hat Tibi bloß Exen gespart und nicht alle BH geclipt 😉
Top Fels. Kompakt, rau, steil und löchrig
Die letzten Meter von SL6.

Info am Rande: die Angaben der Seillängen sind auf bergsteigen.com oft falsch. SL1 hat eher 30m (keine 20), SL5 hat 15m (keine 20) und SL6 hat ca. 22m (keine 30).

Spektakulär ausgesetzt zieht die Route den Schwachstellen der Wand folgend im Anschluss (SL7, V-) fast horizontal nach rechts und knickt in SL8 (V+) wieder henklig-steil nach oben ab.

15m quer nach rechts, dann wieder gerade hoch.

Die Exe stark verlängern, wenn gedoppelt wird.

Am bequemen Standplatz nach SL8.
Die benachbarte Blachenspitze und das Reutter Becken unten. Ganz hinten das Zugspitzmassiv.
Tibi in SL8
Den dicken Henkel in der Hand. Ganz oben im Bild sieht man die Gehrenalpe

Tibi kombiniert die letzten beiden lässigen 5er-Seillängen ebenfalls, so dass wir nach ziemlich genau 3 Stunden Kletterzeit am Wandbuch, knapp unterhalb des heute gut besuchten Gipfels ankommen.

Tibi in SL9 (V)…
…und SL10 (V)
Ein Kletterer in der benachbarten „Schön, dass es dich gibt“. Auch eine Reise wert…
Am Standplatz nach SL10 (Gipfelbuch)

Nun hat man dann auch den ultimativen 360° Panoramaausblick, den die Gehrenspitze als äußerster Pfeiler der Tannheimer Berge bietet.

Einmal im Kreis gedreht bestaunt man die Lechtaler Alpen, die Allgäuer Hochalpen, das Zugspitzmassiv, den gegenüber liegenden Säuling mit dem Schloss Neuschwanstein zu seinen Füßen und die funkelnden Seen der Allgäuer Platte.

Wer ganz genau hinschaut sieht sogar funkelnde Bierkrüge auf der Sonnenterrasse der wunderbaren Gehrenalpe, die heute völlig überraschend geöffnet hat.

Im Abstieg in der Scharte zw. Gehrenspitze und Nebengipfel (Ende des Westgrates)
Rush-Hour am Normalweg
Der Westgrat links oben, Gehrenspitze oben rechts
Kellenspitze in voller Pracht
Blick zurück in die Südwand der Gehrenspitze links der Bildmitte.

Wie sich herausstellt wird Saisonabschluss gefeiert. Und weil gleichzeitig der langjährige Pächter Schluss macht, sind besonders viele Locals und Freunde des Teams ausgelassen am Konsumieren. Bargeld haben wir keins mit, grandioser Weise können wir per PayPal zahlen. Zu unseren zwei Halben vom Fass gibt’s das obligatorische Willkommensschnapserl obendrauf. Bist du narrisch!? Was ist hier denn los?

Da haben wir gleich Standgas. Deshalb ordern wir nach der hervorragenden Kaspressknödelsupp noch nen Kaiserschmarrn zum Kontern. Als müsste der Wirt das Lager leerräumen kommt daraufhin eine Ladung, die kaum auf den übergroßen Teller passt.

Dürfte noch eine feucht-fröhliche Abschlussparty gewesen sein an diesem Abend.

So endet überfressen und leicht angetüdelt eine rundum perfekte Kletterausfahrt – mit wettertechnisch dramatischem Spannungsbogen, klettertechnisch gerade richtig dosierten Schwierigkeiten, geradezu jungfräulich-rauem Fels, gepaart mit einer Absicherung, bei der man sich voll und ganz aufs Klettern und die phantastische Umgebung konzentrieren kann.

Fest steht – der neue Pächter tritt in große Fußstapfen, kann mit uns als Gästen aber jetzt schon fürs Frühjahr rechnen! 😊

Steckbrief Gehrenspitze, Lechtalblick

  • Schwierigkeit: VII- (15m), VI obligat.
  • Absicherung: fast wie in der Halle
  • Schlosserei: 12 Exen, 2 davon lang. Will man Seillängen doppeln 2-3 Exen on top
  • Hoch/runter: 1100hm Zustieg, 10 SL auf 200m Kletterei – ja die SL sind kurz😉. 1350hm Abstieg

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